Wohlstand (auch Wohl, Wohlergehen) ist ein positiver Zustand, der individuell unterschiedlich wahrgenommen wird. Wohlstand setzt sich aus immateriellem und materiellem Wohlstand (siehe auch Lebensstandard) zusammen. Der Lebensstandard ist leichter zu messen. Umgangssprachlich ist mit Wohlstand gemeint, dass jemand mehr Geld als „normal“ zur Verfügung hat bzw. dass es ihm in materieller Hinsicht an nichts mangelt.
Im Rahmen politischer Entscheidungen und Wirkungsweisen wird bislang meist der materielle Wohlstand bzw. das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Indikator für materiellen Wohlstand berücksichtigt. Weitere Wohlstandsindikatoren sind der Engel-Koeffizient und der Human Development Index.
Im Rahmen der Veränderungen unserer Gesellschaft wird gefordert, dass auch andere Aspekte von Wohlstand wahrgenommen und in den politischen Diskurs aufgenommen werden, z. B. die geistige Entwicklung und das seelische Gleichgewicht.
Der Ethnologe Marshall Sahlins bezeichnete die Wildbeuterkulturen (der warmen Länder) als die ursprünglichen Wohlstandsgesellschaften, denn alle Bedürfnisse wurden erfüllt und es blieb viel Zeit für die Muße. Im Durchschnitt mussten sie nur zwei bis fünf Stunden täglich für die Jagd, das Sammeln und die Nahrungszubereitung aufwänden.[1][2][3][4] In der modernen Konsumgesellschaft indes erzeugt die Werbung ständig neue Bedürfnisse, die jedoch ohne Geld und Job oftmals nicht erfüllbar sind. Sahlins weist ausdrücklich darauf hin, dass es vermessen wäre, unsere modernen Vorstellungen von einem guten Leben als einzig wahren Maßstab anzusehen.[5]
„Unser größter Wohlstand liegt in der Zahl der Kupunas (Ältesten)“
Die Interpretation von Wohlstand hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Im Altertum und Mittelalter war Wohlstand im Wesentlichen durch ethische und religiöse Normen bestimmt.[7] Das Oberziel des Merkantilismus (in Deutschland Kameralismus) war das Wohlergehen des Herrschers.[7] Für Physiokraten (18. Jahrhundert, Quesnay) galten die Erzeugnisse aus der Landwirtschaft als einzige Quelle des Wohlstandes.[8] Der Faktor Arbeit und das Prinzip der Arbeitsteilung gewannen in der Zeit der Klassik an Relevanz (Wohlstand der Nationen, Adam Smith, David Ricardo, Malthus).[9] Im Rahmen des Utilitarismus war die individuelle Wahrnehmung des Wohlstandes nach dem „Prinzip des größten Glücks für die größte Zahl“ von Bedeutung. Alfred Marshall führte Anfang des 20. Jahrhunderts die Theorie der Konsumentenrente ein, die den ökonomisch-materiellen Wohlstandsaspekt berücksichtigt. Schon Pigou hat Anfang des 20. Jahrhunderts die Messbarkeit des Geldes und die Kriterien für Wohlstandssteigerung aufgefasst.[10] In der New Welfare Economy basierte Wohlstand auf dem Prinzip des Pareto-Optimums, das durch das individuelle Wohlbefinden der einzelnen Haushalte gekennzeichnet war.[7] Das heutige Verständnis von Wohlstand wird über die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ermittelt. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts wurde diese erstmals durch die Schätzung des Volkseinkommens von Petty erfasst. In Deutschland geht diese auf Leopold Krug zurück. Im Laufe der Zeit haben Keynes und Föhl die Theorie des Wirtschaftskreislaufs weiterentwickelt. Ihre Arbeiten dienten als Grundlage für internationale Systeme wie das der OECD. Heutzutage liegt die 3. Auflage des „System of National Accounts“ (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 1993) vor, in europäischer Version ESVG 1995 (Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung).[11] Bis heute ist es die Basis für die Berechnung von volkswirtschaftlichen Kennzahlen.
Wirtschaftswissenschaftler wie Bruno S. Frey haben unter anderem den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Einkommens und dem Wohlbefinden untersucht und dabei die These aufgestellt, dass es wichtiger sei, sich mit den Bedingungen des Glücklichseins als mit dem durchschnittlichen Glücksniveau zu beschäftigen. In Happiness Research in Economics beschreibt Frey vier Probleme der Ökonomie: das Einkommen, die Arbeitslosigkeit, die Inflation und die Ungleichheit. Er versucht zu zeigen, dass Arbeitslosigkeit den größten negativen Effekt auf das Glücksempfinden hat, da sie das Einkommen begrenzt. Durch die Inflation wird das Glücksempfinden laut Frey eher weniger beeinflusst. In dem Buch wird außerdem die Bedeutung der Sozialnormen hervorgehoben. So scheinen die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit auf das Wohlergehen der Menschen geringer zu sein, wenn dieser Zustand sozial akzeptiert wird.[12] Neben der Arbeitslosigkeit beeinflussen Frey zufolge auch andere wirtschaftliche Faktoren das Wohlbefinden des Menschen. So werde das Glücksempfinden durch die Steigerung des Einkommens positiv beeinflusst.[13] (Vergleiche aber: Ökonomische Glücksforschung.)
Der asiatische Staat Bhutan hat zur Glücksforschung eine Staatskommission[14] eingesetzt, die regelmäßig das „Bruttonationalglück“ der Bevölkerung ermittelt. Das Land hat ein nicht wachstumsorientiertes Wirtschaftsmodell in seiner Verfassung verankert.
Die Einflussfaktoren lassen sich in positive und negative Aspekte unterteilen. Negative Einflussfaktoren können die Steigerung des Wohlstands verhindern oder ihn senken. Dagegen tragen positive Einflussfaktoren zum Anstieg des Wohlstandes bei.[15][16]
Einflussfaktoren | positive | negative |
---|---|---|
Politische Situation | Frieden, Sicherheit, Freiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, |
Krieg, Flucht, Einfluss des Militärs, Isolation, geschlossene Grenzen, Blockaden, Korruption, unkontrollierte Macht, Populismus, Terrorismus |
Wirtschaftliche Situation |
steigende Arbeitsproduktivität, Steigung der realen Löhne, homogene Einkommensverteilung, technischer Fortschritt |
Inflation, Geldentwertung, Verlust von Eigentum, Arbeitslosigkeit, häufige Streiks, Rechtsunsicherheit, zu hohe Staatsverschuldung |
Ökologische Situation |
saubere Luft und sauberes Wasser, wenig Lärm, Zugang zu Natur- und Grüngebieten |
Naturkatastrophen, Umweltverschmutzung |
Gesellschaftliche Situation |
Bildungsmöglichkeiten, Kinderbetreuung, Kulturangebot, soziales und politisches Engagement, Freizeit |
Epidemische Krankheiten, Sucht, Drogen, Analphabetismus, professionelle Kriminalität, mafiöse Strukturen, kollektive Angst |
Wohlstand entsteht durch eine hohe inländische Produktion von Gütern und Dienstleistungen, weil dadurch das Versorgungsangebot verbessert wird. Wichtige Voraussetzung ist damit ein wachsender Binnenabsatz oder zunehmende Exporte. Hinsichtlich der stagnierenden Bevölkerungszahlen und der zunehmenden Überalterung ist ein Wachstum der Binnennachfrage in Deutschland nur begrenzt möglich. Damit Außenhandelspotentiale ausgenutzt werden können und der Binnenmarkt nicht durch Konkurrenz-Länder bedroht wird, ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Inlandes von Bedeutung. Dass deutsche Unternehmen international konkurrenzfähig sind und damit hochpreisige Produkte auf dem Weltmarkt absetzten können, zeigen die hohen Exportumsätze des Landes.[17] Diese betrugen im Jahr 2008 nach den vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes 1.157,18 Mrd. € (nominal/preisbereinigt).[18]
Für diese Betrachtung ist das Bruttoinlandsprodukt je Kopf eine gute Messgröße, die durch Produktivität und Beschäftigung beeinflusst wird. Hier wird die Produktivität als Bruttoinlandsprodukt pro geleistete Arbeitsstunde gemessen. In Deutschland ist die Entwicklung beider Größen jedoch ungünstig. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Produktivität betrug von 2000 bis 2005 nur 1,2 % und es zeichnet sich ein negativer Trend ab. Das Beschäftigungswachstum verringerte sich in diesem Zeitraum durchschnittlich um 0,4 %. Aus diesem Grund zielen politische Maßnahmen auf die Schaffung von mehr Beschäftigung ab.[19]
Entscheidend für den Wohlstand des Landes ist das System der Sozialen Marktwirtschaft. Deutschland profitiert damit von der Effizienz der Märkte. Gleichzeitig werden im Sinne der Gesellschaft soziale Aspekte berücksichtigt.[20]
Aus Sicht der Bevölkerung führen steigende Einkommen zu mehr Wohlstand. In Deutschland liegt die Haupteinkommensquelle in der abhängigen Beschäftigung. Der Nettoverdienst ist über einen Zeitraum von 60 Jahren deutlich schneller gestiegen als die Preise. Die durchschnittlichen Stundenlöhne lagen in Westdeutschland bei 1,31 DM = 0,67 € im Jahr 1950 und stiegen bis 2007 auf 13,59 €. Diese positive Entwicklung spiegelt sich auch in der Lohnquote wider, die 2008 aufgrund der steigenden Löhne immer noch ein hohes Niveau von 65 % erreichte. Durch den zunehmenden Einsatz des Produktionsfaktors Kapital hätte diese auf lange Sicht eigentlich sinken müssen.
Ein weiteres Merkmal für den bisherigen Anstieg des Wohlstands der Deutschen ist die zunehmende Freizeit. Die tarifliche Wochenarbeitszeit im Land ist von durchschnittlich 47 auf 37 Stunden gesunken. Mit ca. 30 Urlaubstagen im Jahr liegt Deutschland auf einem hohen Niveau. Diese tragen ebenfalls zu mehr Wohlstand bei.[21]
Neben dieser Auswahl sind weitere Aspekte von Bedeutung. Dazu gehören beispielsweise eine intakte Umwelt sowie kulturelle und gesellschaftliche Werte. Diese Wohlstandsdimensionen werden jedoch bei der Messung von Wohlstand durch das Bruttoinlandsprodukt nicht berücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass Wohlstand in Deutschland sowie in den meisten anderen Ländern weitgehend mit materiellem Wohlstand und der materielle Wohlstand mit dem BIP gleichgesetzt wird.[22]
Um der Vielschichtigkeit von Wohlstand Rechnung zu tragen, wird daher zu dessen Messung eine Ergänzung des BIP durch ökologische und gesellschaftliche Wohlstandsindikatoren gefordert. Hierfür plädieren u. a. der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und der französische Conseil d'Analyse Economique (CAE) in ihrem gemeinsamen Gutachten „Wirtschaftsleistung, Lebensqualität und Nachhaltigkeit: Ein umfassendes Indikatorensystem“. Konkret schlagen sie 25 Indikatoren aus drei Anwendungsbereichen vor: materieller Wohlstand, Lebensqualität und Nachhaltigkeit.[23] Ein ähnlicher Vorschlag kommt von der Stiftung Denkwerk Zukunft. Im sogenannten Wohlstandsquintett stellt sie dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf vier weitere Indikatoren zur Seite: ein Verteilungsmaß (die sogenannte 80/20-Relation), die gesellschaftliche Ausgrenzungsquote, den ökologischen Fußabdruck in Relation zur global verfügbaren Biokapazität sowie die Schuldenquote.[24]
Trotz der vielen Kritik ist das Bruttoinlandsprodukt der meist herangezogene Indikator zur Wohlstandsmessung. Um den internationalen Vergleich zwischen den Ländern zu ermöglichen, wird dieser auf Pro-Kopf-Basis berechnet.[25]
Misst man das BIP pro Kopf in Kaufkraftstandards (kurz: KKS), so werden die unterschiedlich hohen Preisniveaus zwischen den Ländern ausgeglichen.[25]
Bei dem EU-Länder Vergleich anhand von Bruttoinlandsprodukt pro Kopf belegt Luxemburg den ersten Platz.[26] Dies ist laut Eurostat unter anderem auf die Vielzahl von Ausländern, die in Luxemburg arbeiten, zurückzuführen, da diese zwar zum BIP beitragen, jedoch nicht zu der Bevölkerung gezählt werden. Das Vermögen der Luxemburger ist 2,5 mal so groß wie das eines durchschnittlichen EU-Bürgers. Neben den Luxemburgern sind die reichsten EU-Bürger in Irland. Auf dem letzten Platz ist Bulgarien platziert. Die Menschen dort sind nicht mal halb so vermögend wie ein Normalbürger der EU. Einer der Gründe dafür ist der niedrige Arbeitslohn, der gerade mal 1,80 € beträgt.[27] Deutschland liegt mit derzeit 116 % knapp über dem Durchschnitt.
2008 beurteilte man die Situation noch so, dass sich Deutschland in den letzten Jahren langsamer entwickelt hatte als die anderen Länder. 2008 zog man noch ein Szenario in Betracht, in dem sich diese Entwicklung fortsetzen würde und dann in den nächsten Jahren zu erwarten gewesen wäre, dass Deutschland zum Beispiel von Italien oder Spanien überholt würde.[28]. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die 2008 noch sehr gut dastehenden Länder Spanien, Italien und Irland mittlerweile in eine ernsthafte Krise abgerutscht sind und dass gerade Deutschland im Vergleich dazu gut dasteht. In Irland und Spanien war das Platzen von Immobilienblasen der Hauptgrund für das Abrutschen in die Krise.
Im Laufe der Zeit haben die Wissenschaftler eine Menge von Indikatoren und Indizes zur Wohlstandsmessung entwickelt, sowie Bruttoinlandsprodukt, Pro-Kopf-Einkommen, Wohlfahrtsfunktion, Human Development Index (HDI) und andere. Doch besonders das Bruttoinlandsprodukt wird seit Jahren zunehmend kritisiert.[29] Die Kritik beruht unter anderem darauf, dass solche Wohlstandsverluste, wie Umweltverschmutzung, Lärm und Verkehrsunfälle nicht mit erfasst werden. Aber auch solche Größen, wie Freizeit und die Hausarbeit bleiben unberücksichtigt.[30]
Um diese Mängel zu beseitigen, wurde ein neuer Index, der Human Development Index (HDI) entwickelt. Er berücksichtigt zusätzlich noch Aspekte wie Lebenserwartung, Volksgesundheit oder Bildungsgrad. Die Wohlstandsmessung mit Hilfe von HDI, hat sich jedoch als kompliziert herausgestellt, da man die verwendeten Größen nur schwierig zusammenfassen und gewichten kann.[30]
Einen weiteren Ansatz zur Wohlstandserfassung bietet der sogenannte Net Economic Welfare (NEW). Dieser geht zuerst vom Bruttoinlandsprodukt aus, das um die sozialen Kosten, wie zum Beispiel Umweltverschmutzung, bereinigt und um die privaten Dienste, wie Hausarbeit, erweitert wird. Das Problem dieser Methode ist das gleiche wie beim Human Development Index.[31]
Abschließend ist zu sagen, dass alle existierenden Indikatoren und Indizes zur Wohlstandserfassung eines Landes, nur einzelne Teile dessen erfassen, was den Wohlstand als Ganzes ausmacht. Es wird lediglich versucht, die Mängel des Bruttoinlandsproduktes durch einzelne Aspekte zu ergänzen.
Eine ganzheitliche Lösung für das Problem der Wohlstandserfassung gibt es jedoch noch nicht.