Technikgeschichte ist eine wissenschaftliche Disziplin und Teilgebiet der Geschichtswissenschaft und umfasst Wege und Bedingungen, unter denen sich der technische Wandel vollzogen hat. Die Wissenschaft der Technikgeschichte untersucht, dokumentiert und analysiert diese. Dabei bedeutet Technik die „Gesamtheit aller Artefakte sowie aller Verfahren und Handlungen, mit denen der Mensch zum Erreichen eines Zweckes diese Artefakte vorausdenkend entwirft, herstellt und anwendet“ (Akoš Paulinyi). Die Technikgeschichte befasst sich mit der historischen Entwicklung von Methoden zur praktischen Anwendung unterschiedlicher Naturwissenschaften und Technologien. Gegenstand der Untersuchungen sind einzelne Entwicklungsstränge der Technik wie zum Beispiel die Dampfmaschine, ihr Einfluss auf die Industrialisierung sowie die Beschreibung der Biografie der Persönlichkeiten, die mit ihr zu nennen sind – in diesem konkreten Falle ihr Miterfinder und erfolgreicher Vermarkter James Watt.
Weiterhin untersucht sie als Technikfolgenabschätzung die Wechselwirkung zwischen technischem Fortschritt und der Geschichte sozialer Prozesse. Technikgeschichte (oft als „Geschichte der Naturwissenschaft und Technik“ bezeichnet) gibt es als Lehrstuhl an vielen größeren Universitäten. Ihre Relevanz erfährt die Technikgeschichte aus der technischen Prägung unserer Kultur. Ihr Ziel ist die Analyse kultureller und gesellschaftlicher Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen von Technik. Dabei beschäftigt sich die Technikgeschichte mit der materiellen Kultur und nimmt daher, stärker als andere historische Disziplinen, auch Objekte in den Blick. Sie untersucht die Entstehung, Entwicklung und Durchsetzung von Artefakten und komplexen Sachsystemen. Sie erforscht technische Handlungen von Akteuren und die hierfür benötigten Wissensformen sowie den Gebrauch und die Aneignung von Artefakten durch Nutzer in allen Lebensbereichen. Technikhistorisches Wissen stellt somit einen zentralen Beitrag zur Orientierung in unserer von Technik geprägten Gegenwart dar.
Die Technikgeschichte als institutionalisierte Wissenschaft entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem ingenieurwissenschaftlichen Kontext. Bei Bemühen um die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Arbeit als „Kulturleistung“ hatten die Ingenieure die Geschichte der Technik als ein Instrument hierfür entdeckt. Unterstützt wurden diese Bemühungen insbesondere von Conrad Matschoss vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Weitere Impulse für eine Technikgeschichtsschreibung kamen aus der Soziologie und der Historischen Schule der Nationalökonomie, vor allem von Werner Sombart und Joseph Schumpeter, die sich mit Technik als Teil von „Wirtschaftssystemen“ und mit Innovationsprozessen beschäftigten.
Anfänglich stellte die Technikgeschichte eine „internalistische“ Beschreibung technischer Entwicklungen dar, die von Technikern für Techniker geschrieben wurde. Sie entwickelte sich nach erheblichen Konflikten in den 1970er Jahren zu einer historischen Disziplin.[1]
Paradigmatisch wurde hierbei die 1975 erschienene „Moderne Technikgeschichte“ von Karin Hausen und Reinhard Rürup, die die Technikgeschichte der Gesellschaftsgeschichte und den Sozialwissenschaften annäherte und die Idee des technischen Fortschritts als Leitmotiv der Forschung grundsätzlich in Frage stellte.
Der Blick auf den technischen Fortschritt führt zu spezifischen Epochengliederungen, die mit denen der Polit- wie Kulturgeschichte nur bedingt konform gehen. Neben der Neolithischen Revolution und der industriellen Revolution, die – wenn auch nicht unumstritten – ebenso in anderen Gebieten der Geschichtswissenschaft als Wendepunkte angesehen werden, macht die Technikgeschichte weitere zentrale Momente technischen Fortschritts aus. Eine besondere Rolle nimmt hierbei die Gliederung der Technikgeschichte nach Formen der Energieumwandlung ein, die schon bei Conrad Matschoss, einem der Gründungsväter der Disziplin anklang. Dennoch blieb die Technikgeschichte lange der klassischen Epocheneinteilung verhaftet und es bedurfte des Einflusses angrenzender Fächer wie der Techniksoziologie und Technikphilosophie um zu eigenen Periodisierungen zu kommen.
Von besonderem Einfluss waren hier Lewis Henry Morgan, Leslie White und Gerhard Lenski, die den technischen Fortschritt als wichtigsten Schrittmacher für die Entwicklung der Zivilisation begriffen. Morgans Konzept dreier aufeinanderfolgender Stufen sozialer Evolution (Wilde, Barbaren und Zivilisation) korrelieren mit spezifischen technologischen Meilensteinen: Feuer, Bogen und Töpferei für die Wilde (Savage) Ära, Domestizierung der Haustiere, Ackerbau und Metallverarbeitung in der Ära der Barbarei und Alphabet und die Fähigkeit zu schreiben für die Zeit der Zivilisation.
Für Lesley White ist die „Nutzbarmachung und Kontrolle von Energie“ die „primäre Funktion der Kultur“. White unterscheidet dabei fünf Stufen menschlicher Entwicklung: Die erste bestimmt durch die Nutzung der menschlichen Muskelenergie, die zweite durch die Verwendung der Energie domestizierter Tiere, die dritte durch die Nutzung von pflanzlicher Energie (neolithische Revolution). Die vierte Stufe bildet die Nutzung natürlicher Ressourcen wie Öl, Gas und Kohle, die fünfte die Nutzung atomarer Energie. White führt dafür die Formel P=E*T ein, wobei E für die verbrauchte Energie, und T für die Effizienz der Technik zur Nutzbarmachung der Energie steht. Kulturelle Entwicklung wird dabei entweder durch die Zunahme der verfügbaren Energie oder durch die Steigerung der Effizienz möglich. Eine Erweiterung des Whiteschen Modells stellt die von Nikolai Kardaschow, entwickelte Kardaschow-Skala dar, die die Energienutzung fortgeschrittener Zivilisationen kategorisiert.
Lenskis Modell hingegen konzentriert auf den Begriff der Information: eine Gesellschaft ist umso fortgeschrittener, je mehr Information bzw. Wissen (insbesondere zur Gestaltung ihrer natürlichen Umwelt) diese besitzt. Basierend auf den Fortschritt der Kommunikationstechnik macht er vier Stufen menschlicher Entwicklung aus: In der ersten wird Information nur über die Gene weitergegeben, in der zweiten ist der Mensch durch die Herausbildung des Bewusstseins zum Lernen durch Erfahrung und zur Weitergabe von Information in der Lage. In der dritten Stufe beginnen die Menschen mit der Benutzung von Zeichen und entwickeln die Logik, in der vierten entwickeln sie Symbole und damit Sprache und Schrift. Die Fortschritte in der Kommunikationstechnik wirken dabei auf das ökonomische und politische System, der Güterverteilung, soziale Differenzierung und andere Sphären der Gesellschaft. Die Bedeutung der (technischen) Kommunikationssysteme für die Abgrenzung historischer wie aktueller Epochen spielt auch in der Debatte um die Globalisierung eine zentrale Rolle; für Manuel Castells zeichnet die Vernetzung und ubiquitäre Verfügbarkeit von Information das Informationszeitalter aus.
Daneben existieren noch verschiedene andere technikhistorische Geschichtsgliederungen, die technischen Fortschritt vor allem an Techniken der Stoffumwandlung wie Verfahrenstechnik u. a. (Paulinyi; Krug) oder der Umweltauswirkungen (Radkau) festmachen.
Die Technikgeschichte wird zunehmend von der Informatik, die in fast alle Lebensbereiche eindringt, geprägt. Die Digitalisierung führt zu einer grundlegenden Umwälzung.
Im deutschen Sprachraum sind vor allem folgende wissenschaftliche Fachgesellschaften zu nennen:
Hinzu kommen diverse Vereine zu technikhistorischen Spezialgebieten, die großenteils von interessierten Laien bestimmt sind.
International sind unter Anderem folgende Fachgesellschaften zu nennen:
Eine der weltweit größten Sammlungen mit historischen Texten zur Technikgeschichte enthält die Burndy Library, die seit 2006 mit einem Gesamtbestand von rund 67.000 Werken an der Huntington-Bibliothek in San Marino (Kalifornien) angesiedelt ist.[2]