Ein Studienseminar ist eine Einrichtung, an der angehende Lehrer in Deutschland ihre zweite Phase der Lehrerausbildung absolvieren. Die Bezeichnung „Referendar“ wird dabei nur für Anwärter verwendet, die sich auf eine Laufbahn im höheren Dienst vorbereiten (Gymnasium, berufliche Schule, Gesamtschule mit Sekundarstufe II). Für Auszubildende an Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen und Förderschulen im gehobenen Dienst wird die Bezeichnung „Lehramtsanwärter“ bzw. „Lehreranwärter“ verwendet (siehe auch Lehramtsreferendariat). Für die frühere Ausbildung von Volksschullehrern siehe Lehrerseminar. Im Bundesland Hessen wurde aus Gründen der gendergerechten Sprache der Begriff "Lehrkraft im Vorbereitungsdienst (LiV)" eingeführt.
Rechtlich handelt es sich um den Schulen und ihren jeweiligen Organisationsformen zugeordnete Einrichtungen, die der Aufsicht des Staates unterstehen und weisungsgebunden sind, im Unterschied zu den Universitäten, für die die Verfassungsgarantie der Freiheit von Forschung und Lehre gilt.
Die Ausbildungsdauer beträgt je nach Schulform und Bundesland 12 bis 24 Monate. Ziel der Ausbildung ist es, auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Hochschulstudiums eine professionelle Handlungs- und Reflexionsfähigkeit als Lehrerin oder Lehrer aufzubauen. Dabei verfolgt die Ausbildung vielfach das Leitbild eines „reflektierenden Praktikers“ (Donald A. Schön). Reflexions- und Handlungskompetenz schließt eine Reihe von Teilkompetenzen ein, die die Lehrerin und den Lehrer befähigen, die beruflichen Anforderungen in folgenden berufsspezifischen Funktionen sachgemäß und verantwortlich wahrzunehmen: Unterrichten, Erziehen, Diagnostizieren und Fördern, Beraten, Leistung messen und beurteilen, Organisieren und Verwalten, Evaluieren, Innovieren und Kooperieren. In vielen Bundesländern richtet sich die Ausbildung nach vorgegebenen Kompetenzen und Standards, die im Verlauf des Vorbereitungsdienstes erworben und nachgewiesen werden sollen.
Die Einrichtung von Studienseminaren für die zweite Phase der Lehrerbildung ist europaweit singulär und nur als Ergebnis eines längeren historischen Prozesses zu erklären. Während die Ausbildung von Volksschullehrern bis in die Zeit der Weimarer Republik (und länderspezifisch noch darüber hinaus) an Lehrerseminaren und bei Bewerbern ohne Abitur an vorgeschalteten Präparandenanstalten erfolgte, durchliefen Lehrer an höheren Schulen ein akademisches Studium. Friedrich Gedike begann in Berlin mit der schulpraktischen Ausbildung von Lehrern am Gymnasium 1787, Wilhelm von Humboldt führte 1810 im Rahmen der Preußischen Reformen das examen pro facultate docendi ein. 1826 führte Preußen ein pädagogisches Probejahr unter Aufsicht des Schuldirektors ohne Prüfung ein. 1890 wurde die zweite Ausbildungsphase eine feste Institution in Preußen, die zwei Jahre dauerte. Ausbilder waren spezielle Praktiker in den Kollegien der Gymnasien. Seit 1898 regelte eine Prüfungsordnung einheitlich den Befähigungsnachweis für Unterricht in mindestens einem Fach der Oberstufe und zwei weiteren Fächern (akademischer Stand der "Oberlehrer"). Ein Zehn-Länder-Abkommen übertrug diese Regelungen 1904 auf die nord- und mitteldeutschen Länder sowie Baden und das Reichsland Elsass-Lothringen. Ab 1917 wurde auf Betreiben von Karl Reinhardt das zweite Jahr auch ein Seminarjahr, aber an einem anderen Gymnasium als Seminarschule und mit einem 2. Staatsexamen abgeschlossen, die zwei Lehrproben und eine pädagogische Prüfung beinhaltete. Ab 1924/25 wurde die Prüfung an ein „Bezirksseminar“ übertragen, das dem Regierungsbezirk unterstand, und im Kern bereits die heutige Organisationsform der Studienseminare aufwies. Zugleich wurden die Seminarleiter als pädagogische Experten berufen, die die bisher oft überforderten Schulleiter entlasten sollten, und auf die Fächer spezialisierte Fachleiter statt bloßer Mentoren in den Schulen eingeführt. Diese Reform von Hans Richert sollte vor allem durch eine Zentralisierung die Beurteilungskriterien objektivieren und eine Begrenzung der einzustellenden Assessorenzahlen unterstützen.[1]
In Bayern und Württemberg wurde die zweite Prüfung bereits 1912 bzw. 1898 obligatorisch nach allerdings nur einem Ausbildungsjahr. Im NS-Staat wurde die Seminarzeit 1940 reichsweit auf ein Jahr verkürzt und die Ausbildung strikt vereinheitlicht.
Für die Bundesrepublik maßgeblich wurde der KMK-Beschluss vom 20. Mai 1954 "Grundsätze zur Pädagogischen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien" mit § 3: "Für die Ausbildung werden Studienseminare eingerichtet; ihre Organisation bleibt den Ländern überlassen." Der Vorbereitungsdienst hatte zwei Jahre zu dauern, die Leiter der Studienseminare waren keine Schulleiter. Doch blieben die besonderen Formen der Länder erhalten, so in Bayern die Seminargymnasien. Die "Grundsätze zur Pädagogischen Prüfung für das Lehramt" mit gleichem Datum legten für die Prüfung zwei Lehrproben, eine schriftliche Hausarbeit und eine mündliche Prüfung über pädagogische Themen fest.[2]
Das gymnasiale Ausbildungsmodell eines Vorbereitungsdienstes an Studienseminaren wurde aber erst in der 139. Sitzung der Kultusministerkonferenz am 9. Oktober 1970 in Frankenthal (Pfalz) auf alle Lehrämter übertragen. Der Vorbereitungsdienst für alle Lehramtsanwärter erfolgt seither an „besonderen Ausbildungsinstitutionen“. Ende der 1970er Jahre wurde in Niedersachsen, in den Regierungsbezirken Oldenburg und Osnabrück, eine Zeitlang eine einphasige Ausbildung erprobt, die die gesamte Ausbildung mit einem Examen abschloss. Eine ähnlich einphasige Ausbildung wurde in der DDR vollzogen.
Eine Evaluation der berufsspezifischen Professionalisierung im Rahmen der zweiten Phase der Lehrerausbildung ist bisher nur für begrenzte Bereiche geleistet worden. Eine wissenschaftlich fundierte empirische Gesamtuntersuchung der Leistung der 2.Phase steht noch aus. Dennoch sind die Studienseminare derzeit die einzigen Institutionen in der Lehrerausbildung, in denen systematisch aktuelle pädagogische und fachdidaktische Erkenntnisse in eine praktische Überprüfung und methodische Anwendung überführt werden. Daher attestiert der OECD-Bildungsbericht von 2004 der zweiten Phase, dass sie „eine einzigartige Gelegenheit zum ‚Lernen im Beruf‘, d. h. zum Erwerb und zur Weiterentwicklung von Lehrkompetenzen in der alltäglichen Schulpraxis“ liefert. Eine Reihe von Studienseminaren haben innovative, kompetenzorientierte Ausbildungskonzepte entwickelt, so z. B. die Studienseminare Paderborn[3] und Koblenz[4], sowie sich der inneren Gestaltung und der Wirksamkeit von Lehrerausbildung mit Projekten zur Evaluation und zur Handlungsforschung gewidmet, so z. B. das Studienseminar Leer[5].
Da die zweite Phase der Lehrerausbildung zum einen in der Seminararbeit im Studienseminar (Hauptseminare, Fachseminare) erfolgt, zum anderen von der jeweiligen Ausbildungsschule und den dort tätigen Fachkollegen (in NRW auch Ausbildungkoordinatoren) getragen wird, können sich die Auszubildenden durchaus auch in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Ansprüche und Zielsetzungen wiederfinden. Die strukturell bedingte Doppelrolle der Lehramtsanwärter als Lernende und Lehrende verlangt ihnen anspruchsvolle Balanceakte und Rollendistanz ab. Zwar haben die Studienseminare moderne andragogische Ausbildungskonzepte entwickelt (z.B. der „selbständige Lerner“); dennoch ist der Vorbereitungsdienst strukturell geprägt durch eine Ambivalenz zwischen selbstverantwortlichem Lernen der Lehramtsanwärter und Fremdbeurteilung durch die Seminarausbilder.