Ruttershausen Stadt Lollar
| |
---|---|
Höhe: | 169 m ü. NHN |
Fläche: | 2,69 km²[1] |
Einwohner: | 1300 (2006) ca. |
Bevölkerungsdichte: | 483 Einwohner/km² |
Eingemeindung: | 31. Dezember 1971 |
Postleitzahl: | 35457 |
Vorwahl: | 06406 |
Ruttershausen ist ein Ortsteil der Stadt Lollar im Landkreis Gießen in Mittelhessen, bis Ende 1971 war es eine eigenständige Gemeinde. Ruttershausen hat etwa 1.300 Einwohner (Stand 2006) und liegt zwischen den Universitätsstädten Gießen und Marburg unmittelbar an der Lahn, 10 km nördlich von Gießen, 22 km südlich von Marburg. Der Ort wurde 1256 erstmals urkundlich erwähnt (als Ruthartishusen), ist aber wahrscheinlich schon in fränkischer Zeit gegründet worden. Der Ortskern und Siedlungsschwerpunkt liegt westlich der Lahn. Zur Gemarkung Ruttershausen gehört der Kirchberg östlich der Lahn mit einer kunsthistorisch bedeutsamen spätgotischen Hallenkirche, die die Hauptsehenswürdigkeit des Ortes darstellt. Der Kirchberg war ein früher Gerichtsort und das Zentrum eines Kirchspiels, dem außer Ruttershausen etliche umliegende Dörfer und Gemeinden angehörten.
Ruttershausen liegt in einer breiten Niederterrassen-Ackerebene des Lahntals, der sogenannten Talweitung von Ruttershausen. Der schon an seinem Bebauungstyp als Real-Erbteilungsdorf erkennbare Ort ist vorwiegend zu einem Wohnplatz für Arbeiter und Angestellte geworden, zunächst mit Arbeitsplätzen in Lollar (Buderus-Werke), dann aber auch in Gießen, Wetzlar und Marburg. Der moderne Siedlungsausbau erfolgte seit den 1970er Jahren hangauf gegen den Lützel- und Altenberg. In Ruttershausen gibt es nur noch einen hauptberuflichen Agrarbetrieb, einen Aussiedlerhof in Kirchberg. Der Ort dürfte schon in fränkischer Zeit als rechtslahnische Sicherung der hier den Fluss auf einer Furt querenden alten Höhenstraße Herborn – Amöneburg bestanden haben, die zwischen dem Altenberg und dem Lützelberg hindurch nach Ruttershausen – Kirchberg und weiter über Staufenberg – Mainzlar führte, wo sie Anschluss an die "Langen Hessen" fand.
Bis zum Bahnbau 1846/47 floss die Lahn in einem Bogen unmittelbar am Fuß des Kirchberger Kopfes vorbei, so dass zwischen diesem und Ruttershausen eine breite Aue lag, von der aus bei Hochwasser das auf der Niederterrasse gelegene Dorf oft überschwemmt wurde. Mit dem Abschneiden der Flussschlinge durch die Bahntrasse wurde ein neuer, geradliniger Verlauf erzielt, der direkt am Dorf vorbeiführt. Seitdem war Ruttershausen gegen Hochwasser weitgehend geschützt, da die Wassermassen schneller abfließen konnten.
Gegenüber Ruttershausen erhebt sich auf dem östlichen Lahnufer unmittelbar aus der Lahnaue die steile Felskuppe des Kirchbergs. Die naturräumliche wie kultur- und politisch-geographische Lage lässt die Lahntalenge von Ruttershausen-Kirchberg zur deutlichen Abgrenzung zwischen dem Marburger und Gießener Lahntal werden. Seine exponierte Lage – die wegen der Lahnbegradigung heute nicht mehr so deutlich erkennbar ist – prädestinierte den Kirchberg wohl schon in germanischer Zeit für die Anlage einer Gerichts- und Kultstätte.
Das Gebiet um Lollar und Staufenberg war schon in der Altsteinzeit von Neandertalern besiedelt. Dafür gibt es mehrere archäologische Belege, insbesondere die Funde vom Totenberg beim nahe gelegenen Staufenberg-Treis (datiert 120.000–80.000 v. Chr.).
Für Ruttershausen selbst wird als frühester Fund eine Axt aus der Jungsteinzeit genannt, die auf die Zeit zwischen 4000 und 3000 v. Chr. datiert wurde. Allerdings ist weder der genaue Fundort, noch der Zeitpunkt des Fundes (vor 1938, da in diesem Jahr erstmals erwähnt), noch der Verbleib geklärt. Den ältesten gesicherten archäologische Beleg für Ruttershausen stellen zwei bronzezeitliche Hügelgräber aus der Zeit um 1500 v. Chr. im Ruttershäuser "Wehrholz" dar. Die keltische Besiedlung begann in diesem Gebiet um 800 v. Chr., bestes Beispiel ist die Keltenburg auf dem Dünsberg. Auf dem Altenberg bei Ruttershausen gab es wahrscheinlich auch eine keltische Siedlung, von ihr sind aber bisher keine Bodenfunde nachgewiesen.
Das Gebiet um Ruttershausen gehörte in der fränkischen Zeit (600–800 n. Chr.) zum Oberlahngau, der seinen Verwaltungssitz auf der Amöneburg hatte. Als untere Verwaltungseinheit bestand möglicherweise schon das später so genannte Centgericht Kirchberg. Der Kirchberger Felsen über der Lahn, auf dem heute die um 1500 erbaute spätgotische Hallenkirche steht (siehe Kirchberg), wurde wahrscheinlich bereits in vorchristlicher Zeit als germanische Kult- und Gerichtsstätte genutzt. Dort wurde später im Zuge der Christianisierung zwischen 700 und 800 eine erste Kirche errichtet (allerdings ist die vermutete Gründung durch iro-schottische Mönche des Bonifatius-Schülers Lullus um 780 ungesichert). Für eine fränkische oder sogar vorfränkisch-germanische Gründung spricht die frühe Bedeutung Kirchbergs als Mittelpunkt eines wahrscheinlich von Mainz aus eingerichteten Kirchspiels und als Gerichtsort (Centgericht). In seiner für die Siedlungs- und Territorialentwicklung wesentlichen Bedeutung als frühestes Kirchspielzentrum an der Nordbegrenzung des Gießener Beckens ist Kirchberg das Gegenstück zu Großen-Linden für das südliche Gießener Becken. Die territorialen Auseinandersetzungen um diese Schlüsselstelle zwischen Hessen und dem Erzbistum Mainz verlagerten sich im 14. Jahrhundert auf eine solche zwischen Hessen und Nassau.
Bis 1938 lag die Zahl der Einwohner von Ruttershausen nie über 500. Nach dem Kriegsende musste Ruttershausen in großer Zahl Vertriebene und Flüchtlinge aus dem Osten und Südosten aufnehmen. Bis 1980 wuchs die Einwohnerzahl auf 1.000 Personen. Die größte Erweiterung erfuhr Ruttershausen ab 1977 durch das großflächige Neubaugebiet „Am Hellenberg“. Am 31. Dezember 2005 hatte Ruttershausen 1.298 Einwohner, davon 144 ausländische Mitbürger. 707 Bürger sind evangelisch, 192 katholisch, von den restlichen 400 sind viele muslimischen Glaubens.
In Ruttershausen leben 302 Kinder und Jugendliche, dies sind 23 % aller Bürger. 178 Einwohner sind über 67 Jahre alt (14 %). Im Ortskern sind jedoch 93 Einwohner (21 %) über 67 Jahre alt, man kann somit von einer Überalterung des Ortskerns sprechen.
Der demografische Wandel wurde in Ruttershausen seit den 1960er Jahren durch die Arbeits-Migration ("Gastarbeiter") stark beeinflusst. Von insgesamt 134 Anwohnern im vorwiegend von Türken besiedelten Wohngebiet „An der Alten Lahn“ sind 81 (60 %) unter 26 Jahren alt. Im Ortskern sind dazu im Vergleich nur 27 % der Anwohner in dieser Altersklasse. Etwa die Hälfte der in den letzten Jahren in Ruttershausen geborenen Kinder sind muslimischen Glaubens.
Siehe den Hauptartikel Kirchberg (Lahn)
Oberhalb von Ruttershausen erhebt sich östlich über der Lahn ein Felsvorsprung, der erstmals in einer Urkunde von 1227 als Kirchberg bezeichnet wird. Vermutlich befand sich dort in früherer Zeit ein heidnischer Kult- und Gerichtsplatz (Thingstätte), der dann während der Christianisierung Hessens im 8. Jh. in eine christliche Kultstätte umgewandelt wurde. Diese Kirche wurde zur Mutterkirche des Kirchspiels Kirchberg, zu dem außer Ruttershausen unter anderem auch die Orte Staufenberg, Lollar, Mainzlar, Daubringen, Heibertshausen, Einshausen, Deckenbach und Wißmar gehörten. 1237 war der Kirchberg Gerichtssitz in der Grafschaft Ruchesloh.
Die kunstgeschichtlich bedeutsame spätgotische Hallenkirche auf dem Kirchberg wurde 1495 bis 1508 erbaut. Dabei fanden Teile eines Vorgängerbaues, insbesondere der Turm, Verwendung. Die Glocken stammen aus den Jahren 1310, 1380 und 1432. Zu den wertvollen Ausstattungsstücken gehören das spätgotische große Kruzifix auf dem Altar, das Rokokogehäuse der Orgel und drei farbig gefasste Doppelgrabsteine aus der Zeit um 1600. Im Jahr 2008 wurde der 500. Jahrestag der Kirchweih gefeiert.
In Ruttershausen gibt es jährliche Feste, die z.T. eine jahrzehntelange Tradition haben. Im Mittelpunkt steht die Kirmes im Juli, die von den Burschen- und Mädchenschaften des Dorfes – Echte Käs (soll heißen Echte Kerle) und Ruttershäuser Amazonen – organisiert wird. Eine besondere Tradition ist die Versteigerung der unverheirateten, konfirmierten Mädchen und jungen Damen in der Nacht zum 1. Mai durch die Mitglieder der Burschenschaft (sog. Liehverstrich) unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wer den Zuschlag erhält, dekoriert in der Nacht den Eingangsbereich des Wohnhauses der Ersteigerten mit frisch geschlagenen Ästen. Anlässlich der Kirmes in Ruttershausen wird die Maikönigin der Dorfbevölkerung bekanntgegeben und gekrönt, also diejenige, die anlässlich der Versteigerung den höchsten Preis erzielt hat.
Eine weitere Besonderheit ist das sogenannte Steibern: In der Nacht vor der kirchlichen Hochzeit eines Paares werden bewegliche Güter ihrer Haushalte (z.B. Gartenmöbel, Blumenkästen etc.) an einer zentralen Stelle des Ortes – ursprünglich am öffentlichen Aufgebotskasten – zusammengetragen. Der Hintergrund war, dass Ehen mit schlechter Prognose für ihre Haltbarkeit besonders "gestützt" werden mussten, in dem man symbolisch den Aufgebotskasten mit allerlei Hausrat des Bräutigams und der Braut "abstützte".
In Ruttershausen gibt es einen Kindergarten, in dem nachmittags auch die Kinder aus den benachbarten Ortsteilen Odenhausen und Salzböden betreut werden. Der Ruttershäuser Kindergarten ist ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die ausländischen Kinder aus dem Wohngebiet „An der Alten Lahn“. Sie bekommen im Kindergarten eine frühzeitige Sprachförderung, die dann in der Schule fortgesetzt wird.
Die ehemalige Dorfschule von Ruttershausen diente bis 1970 als Grundschule. Seitdem gehen die Kinder des Dorfes in Lollar zur Grundschule. Die Grundschule Lollar (ca. 330 Schüler) ist eine Ganztagsschule mit einem Betreuungsangebot, das auch die Hausaufgabenbetreuung für Migrantenkinder umfasst.
Die weiterführende Lollarer Clemens-Brentano-Europaschule bietet drei Schulzweige: Gymnasium, Realschule und Hauptschule. Sie ist für die Ruttershäuser Schüler zu Fuß erreichbar.
Ruttershausen ist äußerst verkehrsgünstig an das Autobahnnetz angebunden. Die Autobahn Frankfurt-Gießen-Kassel ist über die Autobahnauffahrt Staufenberg in wenigen Minuten erreichbar. Die Strecke Gießen-Marburg-Kassel wird in den nächsten Jahren weiter vierspurig ausgebaut werden. Gießen ist 10 km entfernt, Marburg 22 km, Frankfurt 85 km.
Lollar ist Haltepunkt der Bundesbahnlinie Frankfurt-Kassel, der sogenannten Main-Weser-Bahn. Von hier besteht die Möglichkeit der Verbindung zu den Universitätsstädten Gießen und Marburg. Ein weiterer Haltepunkt der Bahn ist das nahe gelegene Lollar-Friedelhausen. Mehrere Buslinien verbinden Lollar mit Gießen, Marburg und dem Lumdatal.
Ruttershausen liegt direkt an der Lahn und am Lahntal-Radweg, der von der Quelle bis zur Mündung in den Rhein auf insgesamt 235 km Länge ausgebaut ist. Direkt an Ruttershausen vorbei verlaufen auch der Lumdatal- und der Salzbödetalradweg. Im Sommer fahren täglich über 300 Radtouristen durch Ruttershausen.
Ruttershausen hat einen großen Campingplatz direkt an der Lahn. In Ruttershausen gibt es eine Pension, Lollar bietet ca. 100 Fremdenzimmer. Die Stadt Lollar ist dem Lahntal Tourismus Verband e.V. und dem Tourismusbund Lumdatal angeschlossen. Das Marketing für den Tourismus in der Region wird von Gießen aus organisiert. Ruttershausen ist Ziel- und Startpunkt von Boots- und Paddeltouren auf der Lahn, die von verschiedenen Anbietern organisiert werden.
Eine weitere Attraktion ist die von Heinz Bauer (ehem. Präsident der Universität Gießen) 2000 begründete Kammermusikreihe "Kirchbergforum". Sie bietet ein hohes Niveau durch die dort auftretenden jungen Musiker, die vom Veranstalter bei Musikhochschulen, Wettbewerben und Meisterkursen gezielt ausgesucht werden. Es finden pro Jahr etwa sechs Konzerte in der Kirche oder einer privaten "Kammer" des ehemaligen Pfarrhofes statt. Das "Kirchbergforum Jazz" wurde 2005 mit Unterstützung des "Mittelhessischen Kultursommers" begründet.
Im Mai 2007 wurde von der Stadt Lollar das Gebäude des Gemeinschaftshauses im Ortsteil Ruttershausen als geeignetes Objekt für eine Photovoltaikanlage vorgestellt. Dieses "Bürgersonnenkraftwerk" auf dem Gemeinschaftshaus besteht aus einzelnen Photovoltaikanlagen privater Bürger, die selbst nicht über ein passendes Dach verfügen. Die Anlage produziert insgesamt etwa 26.000 kWh pro Jahr.
Geschichte
Exkursions- und Reiseführer