Richard Freudenberg (* 9. Februar 1892 in Weinheim; † 21. November 1975 Reutte/Tirol) war ein deutscher Politiker (DDP, später FWG) und Unternehmer. In der Zeit des Nationalsozialismus kaufte er u.a. mehrere Unternehmen „jüdischer“ Schuhfabrikanten auf und wurde so zu einem der größten Schuhproduzenten in Deutschland.
Richard Freudenberg entstammte der Weinheimer Unternehmerfamilie Freudenberg und engagierte sich seit 1914 im väterlichen Unternehmen. Er war persönlich haftender Gesellschafter der Lederfabrik Carl Freudenberg, des größten Arbeitgebers der Stadt.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten erwarb Richard Freudenberg für die Firma, die bis dahin nur ein Gerbereibetrieb gewesen war, drei Schuhfabriken, darunter die Schuhfabrik und Handelskette „Conrad Tack & Cie. AG“ in Burg bei Magdeburg von der jüdischen Familie Krojanker. Diese Firma war die zweitgrößte Schuhfabrik Deutschlands und der größte Abnehmer von Leder der Firma Freudenberg.[1] Bereits im Herbst 1932 verhandelte man über eine Übernahme. Als von 1933 an die Lage für die jüdischen Eigentümer der Firma Tack, die Familie Krojanker, unhaltbar wurde, übernahm Freudenberg die Krojanker-Anteile zu einem angemessenen Preis.[2] Die Verhandlungen sollen in einer freundschaftlichen Atmosphäre stattgefunden haben.[3] Hermann Krojanker „nahm sich nach Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz im August 1935 in Berlin das Leben“.[4] Bis 1936 erwarb Freudenberg die größte deutsche Kinderschuhfabrik Gustav Hoffmann und 1938 von jüdischen Eigentümern die Babyschuhfabrik Fisch in Heidelberg. Die Übernahme der „arisierten“ österreichischen DELKA und, nach der deutschen Eroberung Frankreichs, die „Germanisierung“ der französischen Firma André in Nancy scheiterten jeweils an lokalen politischen Widerständen.[5]
Von 1934 an steuerte die Firma Freudenberg jährlich 36.000 RM zur Adolf-Hitler-Spende bei, einer Abgabe aller Betriebe zugunsten der NSDAP, berechnet nach der jeweiligen Lohn- und Gehaltssumme.[6] 2009 veröffentlichte die Historikerin Anne Sudrow in ihrem Buch Der Schuh im Nationalsozialismus Erkenntnisse, wonach mehrere Schuhfabriken zusammen mit der SS im Konzentrationslager Sachsenhausen eine Schuhprüfstrecke unterhielten, auf der Häftlinge unter anderem zu Tode gequält wurden.[7]
Freudenberg wurde Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bank und zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Er trat nach den Unterlagen der Partei 1941 der NSDAP bei, nach seinen eigenen Angaben 1943 zusammen mit der Firmenleitung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Freudenberg von November 1945 bis zum Frühjahr 1947 in verschiedenen Internierungslagern der US-Militärregierung (OMGUS) festgehalten. In seinem Spruchkammerverfahren in Weinheim wurde er von Vorwürfen, die Nationalsozialisten unterstützt zu haben, freigesprochen. Dazu waren etliche Aussagen aus der Belegschaft und der Bevölkerung nötig.[8]
Man hatte ihm unter anderem die Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat der Deutschen Bank, seine Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer und die Mitgliedschaft in der NSDAP zum Vorwurf gemacht. Richard Freudenberg bestritt, im geschäftsführenden Arbeitsausschuss der Deutschen Bank gewesen zu sein.[9] Den Beitritt zur NSDAP erklärte er als Maßnahme, um eine angeblich drohende Schließung des Betriebs zu vermeiden. Die NSDAP datierte den Parteieintritt auf den 20. Oktober 1941 zurück.[10] Die Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer sei trotz Anfeindungen durch die NSDAP erfolgt.
Bereits von 1919 bis 1924 war Freudenberg für die DDP Mitglied des Landtages von Baden, anschließend bis 1933 ihr Landesvorsitzender. Auch im Stadtrat seiner Heimatstadt Weinheim vertrat er die Partei.
Nach nicht ganz zweimonatiger Amtszeit als kommissarischer Bürgermeister der Stadt Weinheim wurde er am 27. Mai 1945 wegen Beleidigung vom Counter Intelligence Corps verhaftet. Nach zwei Monaten kam er jedoch wieder frei, da sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als haltlos erwiesen hatten.[11]
Er war Mitbegründer der Parteilosen Wählervereinigung Weinheim (PWV), des Vorläufers der heutigen FWG. Für diese zog er 1947 in den Stadtrat ein. Er stand zwar politisch der FDP/DVP nahe, trat ihr aber nicht bei, u.a. weil er – im Gegensatz zur FDP/DVP – das Mehrheitswahlrecht propagierte.
Bei der Bundestagswahl 1949 kandidierte Freudenberg als parteiloser Direktkandidat im Wahlkreis Mannheim-Land. Er profitierte davon, dass die FDP/DVP auf einen eigenen Kandidaten verzichtet und zu seiner Wahl aufgerufen hatte, wurde mit 43,7 % der Stimmen gewählt und zog in den Deutschen Bundestag ein. Dort gehörte er bis zum 5. Dezember 1952 als Hospitant der FDP-Fraktion an. Nachdem er sich gegen den Beitritt Deutschlands zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) ausgesprochen und auch dagegen gestimmt hatte, wurde er aus der FDP-Fraktion ausgeschlossen.[12] Den Rest seiner Amtszeit verbrachte er als fraktionsloser Abgeordneter. Bis zum 26. Februar 1953 war er stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Außenhandelsfragen und des Beirates für Handelspolitische Vereinbarungen. Eine der wichtigsten regionalpolitischen Entscheidungen der Nachkriegszeit, die Gründung des neuen Südwest-Staates Baden-Württemberg nach einer Volksabstimmung 1951, geht auf Freudenbergs maßgebliche Einflussnahme zurück. Noch 1950 hatte eine Probeabstimmung keine Mehrheit für den Gesamtstaat ergeben - die Lösung im Sinne der Befürworter brachte Freudenbergs nicht unumstrittener Vorschlag, nicht in zwei, sondern in vier Wahlbezirken abstimmen zu lassen und einen Gesamtstaat zu gründen, wenn drei der Bezirke dafür votieren sollten.
Bei der Bundestagswahl 1953 scheiterte er mit 20,8 % der Erststimmen am Kandidaten der CDU. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag wurde er für die PWV im November 1953 in den Kreistag des Landkreises Mannheim gewählt. Seit 1962 war Freudenberg Ehrenmitglied des Landesverbandes der Freien Wähler. Im gleichen Jahr verlieh ihm die Stadt Weinheim die Bürgermedaille in Gold. Nach der Auflösung der christlich-liberalen Koalition forderte er gemeinsam mit Dolf Sternberger am 9. November 1966 in einem Aufruf an die Bundestagsabgeordneten die Bildung einer großen Koalition zum Zwecke der Einführung des relativen Mehrheitswahlrechts. 1971 schied er aus Altersgründen aus dem Stadtrat und dem Kreistag aus.
Freudenberg machte sich auch als Wohltäter Weinheims einen Namen, so stiftete er aus Privat- und Firmenvermögen insgesamt mehrere Millionen DM. Durch seine Spenden wurden u.a. ermöglicht: Erweiterungsbau des Werner-Heisenberg-Gymnasiums (1952); Krankenhausmodernisierung (1955); Bau des Sportzentrums mit Hallenbad und Großsporthalle (1958–62); Bau der Dietrich-Bonhoeffer-Schule (1967); Zweiter Erweiterungsbau für das Gymnasium (1974).