Allgemeine Struktur von Polyurethanen |
Wiederholeinheit bei linearen Polyurethanen, die aus einem Diol und Diisocyanat hergestellt wurden. Die Urethan-Gruppen sind blau gekennzeichnet. R1 steht für den „Rest“ der zur Synthese eingesetzten Diols (HO−R1−OH), R2 für den „Rest“ des Diisocyanats (OCN−R2−NCO). |
Polyurethane (Kurzzeichen PUR; im Sprachgebrauch auch PU) sind Kunststoffe oder Kunstharze, die aus der Polyadditionsreaktion von Dialkoholen (Diolen) beziehungsweise Polyolen mit Polyisocyanaten entstehen. Charakteristisch für Polyurethane ist die Urethan-Gruppe ([math]\mathrm{{-}NH{-}CO{-}O{-} \ }[/math]).
Diole und Diisocyanate führen zu linearen Polyurethanen, vernetzte Polyurethane durch Umsetzung von beispielsweise Triisocyanat-Diisocyanat-Gemischen mit Polyolen. Vernetzungsgrad und eine variierbare Engmaschigkeit der Vernetzung führen zu Kunststoffen, die Duroplaste, Thermoplaste oder Elastomere sein können. Mengenmäßig sind Polyurethanschaumstoffe, als Weich- oder Hartschaum am wichtigsten. Polyurethane werden jedoch auch als Formmassen zum Formpressen, als Gießharze (Isocyanat-Harze), als (textile) elastische Faserstoffe, Polyurethanlacke und als Polyurethanklebstoffe verwendet.
1937 synthetisierte eine Forschergruppe um Otto Bayer in den Laboratorien der I.G. Farben in Leverkusen zum ersten Mal Polyurethane aus 1,4-Butandiol und Octan-1,8-diisocyanat und später aus Hexan-1,6-diisocyanat. Das entsprechende Polyurethan hatte die Bezeichnung Igamid U bzw. Perlon U. Weitere Versuche zeigten, dass Toluylendiisocyanat deutlicher reaktiver war als Hexan-1,6-diisocyanat und dass Reaktionen mit Triolen zu dreidimensional vernetzten Polyurethanen führten. 1940 begann die industrielle Produktion in Leverkusen. Aufgrund des Zweiten Weltkriegs und der damit verbundenen Knappheit an Rohstoffen entwickelte sich der Markt für Polyurethane jedoch zunächst nur sehr langsam. So waren 1952 weniger als 100 t pro Jahr des wichtigen Polyisocyanats Toluylendiisocyanat (TDI) verfügbar. Von 1952 bis 1954 wurden Polyester-Schaumstoffe entwickelt, wodurch das kommerzielle Interesse an Polyurethanen weiter gesteigert wurde. Mit dem Einsatz von Polyetherpolyolen wuchs die Bedeutung der Polyurethane rasch an. Die größeren Variationsmöglichkeiten bei der Herstellung von Polyetherpolyolen führten zu einer erheblichen Ausdehnung der Anwendungen. So wurden 1960 bereits über 45.000 t an Schaumstoffen produziert.
Bis zum Jahr 2002 ist der weltweite Verbrauch auf rund 9 Millionen Tonnen Polyurethan angestiegen, bis 2007 stieg er weiter auf über 12 Millionen Tonnen. Die jährliche Zuwachsrate beträgt ca. 5 %.[1] 2011 betrug die Produktion allein in Deutschland mit den Hauptproduzenten Bayer AG und BASF knapp 1 Million Tonnen, davon etwa 32 % für Gebäudedämmung, 20 % für Möbel und Matratzen, 14 % für den Automobilbau und 10 % für Lacke und Farben.
Polyurethane können je nach Wahl des Polyisocyanats und des Polyols unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Die Dichte von ungeschäumtem Polyurethan variiert zwischen rund 1000 und 1250 kg/m³. Typische Dichten sind rund 5 bis 40 kg/m³ für weichen Blockschaum oder 30 bis 90 kg/m³ für harten Blockschaum.
Isocyanate können Allergien auslösen und stehen im Verdacht, Krebs zu verursachen. Wenn Polyurethane ausreagiert sind und keine Monomere mehr enthalten, besitzen sie in der Regel keine gesundheitsschädlichen Eigenschaften. Richtlinien und Merkblätter für den sicheren Umgang mit Polyurethan-Rohstoffen können bei den Herstellern oder der ISOPA (Europäischer Verband der Diisocyanat- und Polyolhersteller) abgerufen werden.[2]
Polyisocyanate (Auswahl) |
Hexamethylen-1,6-diisocyanat, ein HDI |
Toluol-2,4-diisocyanat, ein TDI |
Diphenylmethan- 4,4'-diisocyanat, ein MDI |
Polyole (Auswahl) |
Polyether-Polyol: Sauerstoffatome des Ethers sind blau markiert. |
Polyester-Polyol aus Adipinsäure und 1,4-Butandiol. Sauerstoffatome und Kohlenstoffatom der Carbonsäureester-Gruppen sind blau markiert. |
Polyurethane entstehen durch die Polyadditionsreaktion von Polyisocyanaten mit mehrwertigen Alkoholen, den Polyolen. Die Verknüpfung erfolgt durch die Reaktion einer Isocyanatgruppe (–N=C=O) eines Moleküls mit einer Hydroxygruppe (–OH) eines anderen Moleküls unter Bildung einer Urethangruppe (–NH–CO–O–). Dabei erfolgt keine Abspaltung von Nebenprodukten wie bei der Polykondensation.
Es kommen nur wenig verschiedene Isocyanatkomponenten zum Einsatz:
Im Wesentlichen werden die späteren Eigenschaften durch die Polyolkomponente bestimmt, weil zum Erreichen gewünschter Eigenschaften üblicherweise nicht die Isocyanatkomponente angepasst (chemisch verändert) wird, sondern die Polyolkomponente. Abhängig von Kettenlänge und Anzahl der Verzweigungen im Polyol können mechanische Eigenschaften beeinflusst werden. So führt ein Einsatz von Polyesterpolyolen zusätzlich zu den üblicheren Polyetherpolyolen zu besserer Standfestigkeit, weil Polyesterpolyole einen höheren Schmelzpunkt haben und somit beim Applizieren des Polyurethans erstarren.
Die Polyurethanbildung erfordert mindestens zwei verschiedene Monomere, im einfachsten Fall Diol und Diisocyanat. Sie verläuft in Stufen. Zunächst entsteht aus Diol und Diisocyanat ein bifunktionelles Molekül mit einer Isocyanatgruppe (–N=C=O) und einer Hydroxygruppe (–OH). Dieses kann an beiden Enden mit weiteren Monomeren reagieren. Dabei entstehen kurze Molekülketten, sogenannte Oligomere. Diese können mit weiteren Monomeren, anderen Oligomeren oder bereits gebildeten Polymere reagieren.
Durch einen Überschuss von Diisocyanat können lineare Polyurethane vernetzt werden. Durch Addition einer Isocyanat-Gruppe an eine Urethan-Gruppe bildet sich eine Allophanat-Gruppe.
Durch eine Trimerisierung von drei Isocyanat-Gruppen ist auch die Bildung einer Isocyanurat-Gruppe möglich. Werden mehrfunktionelle Isocyanate eingesetzt, bilden sich die hochverzweigten Polyisocyanurate (PIR), siehe dort.
Alternativ können vernetzte bzw. verzweigte Polyurethane auch durch den Zusatz von Stoffen mit mehr als zwei Isocyanat-Gruppen, wie beispielsweise PMDI, und Triolen, wie beispielsweise Glycerin, hergestellt werden. Auch die Verwendung von mehrfachen Aminen, wie Ethylendiamin, führt zu Vernetzungen. Die Reaktion von Isocyanaten mit Aminen führt erst zu Harnstoff-Gruppen.
Diese sind weiterhin reaktiv und erlauben die Addition einer weiteren Isocyanat-Gruppe, wobei sich eine Biuret-Gruppe bildet.
Soll in der Praxis ein bestimmtes Polyurethan hergestellt werden, so bieten sich zwei Wege an:[3] Die direkte Reaktion eines Polyols mit einem Polyisocyanat (Einstufen-Verfahren) und das Zweistufen-Verfahren. Beim Zweistufen-Verfahren werden im ersten Schritt zwei Prepolymere hergestellt: Mit Diisocyanaten im Überschuss werden bei der Umsetzung mit Diolen ein NCO-Prepolymer und bei einer Umsetzung mit einem Überschuss an Diolen ein OH-Prepolymer gewonnen. Erst im zweiten Schritt erfolgt durch Mischung der Prepolymere die eigentliche Polymerisation. Das Zweistufen-Verfahren führt zu einer sehr weitmaschigen Vernetzung des Polymers und ist für PUR-Weichschaumstoffe wichtig.
Wird der Reaktionsmischung eine kleinere Menge Wasser zugefügt, so reagiert Wasser mit einem Teil der Isocyanatgruppen, wobei Kohlenstoffdioxid (CO2) frei wird und die noch weiche Reaktionsmasse aufschäumt. Entweder reagiert die entstandene, instabile Carbamidsäure mit einem weiteren Isocyanat direkt zu einem Polyharnstoff oder es entsteht erst eine primäre Aminogruppe, die mit einer Isocyanatgruppe in einem zweiten Schritt zu dem substituierten Harnstoff reagiert. Die Freisetzung von CO2 führt daher zu keinem Abbruch der Polymerisation.
Durch die Menge des zugegebenen Wassers kann das Raumgewicht des entstehenden Schaumes variiert werden. Die Verwendung von Treibmitteln erlaubt die Herstellung von Polyurethan-Schäumen. In den letzten Jahren wurde mit dem Verbot von FCKW-haltigen Treibmitteln eine Wende in der Herstellung dieser Hartschäume eingeleitet. In letzter Zeit werden daher verstärkt Pentane, Methylenchlorid oder reines Kohlendioxid als Treibmittel verwendet.
Im Regelfall entstammen sowohl die Polyole wie auch die Polyisocyanate der Produktion aus petrochemischen Rohstoffen, es können jedoch auch Polyole auf der Basis von Pflanzenölen oder Lignin eingesetzt werden, siehe Polyole.
Aus Polyurethan lassen sich sehr einfach Schaumstoffe herstellen. Das Besondere an PUR-Schaumstoffen ist, dass sie für den verarbeitenden Betrieb sowohl als Halbzeug (Schaumstoff in zugeschnittener Form) verfügbar sind, aber auch vor Ort aus flüssigen Komponenten an Ort und Stelle hergestellt bzw. in oder auf Industrieteile gebracht werden können (Ortschaum, „Formed in-place foam“).
Weiche PUR-Schaumstoffe werden für extrem vielfältige Zwecke verwendet, vor allem aber als Polstermaterial, d. h. Matratzen oder Sitzkissen für Möbel bzw. Autositze, als Teppichrückenmaterial, zur Textilkaschierung, als Reinigungsschwamm oder als Filtermaterial benutzt. PUR-Weichschäume sind zumeist offenzellig und sind in einem breiten Härte- und Dichtebereich verfügbar.
PUR-Hartschäume werden vor allem zur Wärmedämmung z. B. in Gebäuden, Kühlgeräten, Wärme- und Kältespeichern sowie einigen Rohrsystemen (Kunststoffmantelverbundrohr, flexible Verbundrohre) eingesetzt.
Seit einiger Zeit werden weitere Anwendungsgebiete für PUR-Schäume erschlossen, z. B. im Fahrzeugbau (Lenkrad, Armauflage, Softbeschichtung von Handgriffen, Innenraumverkleidung, Armaturenbrett, Schalldämmung, Klapperschutz, Abdichtungen, Transparentbeschichtung von Holzdekoren).
Polyurethan-Schäume, die als Wärmedämmung konzipiert sind, sind geschlossenzellig aufgebaut, damit die Zellgase mit ihren niedrigen Wärmeleitfähigkeiten in den Schaumzellen verbleiben. Früher kam häufig R 11 (Trichlorfluormethan) als Zellgas zum Einsatz. Wegen der ozonschädigenden Eigenschaft dieses halogenierten Kohlenwasserstoffs wurde dieser weitgehend zunächst durch Kohlendioxid und aktuell durch Cyclopentan ersetzt, wobei dann in den Schaumzellen ein Gemisch aus Cyclopentan (ca. 10 bis 35 %) und Kohlendioxid enthalten ist. Wenn der Polyurethan-Schaum nicht diffusionsdicht gegenüber der Umgebung eingekapselt ist, werden die ursprünglich vorhandenen Zellgase unter irdischen Bedingungen jedoch durch Diffusionsvorgänge nach und nach durch Luft und Wasserdampf ersetzt, wodurch die Wärmeleitfähigkeit des Polyurethan-Schaums zunimmt. Nach der Herstellung erreichen Polyurethan-Schäume mit Kohlendioxid als Zellgas Wärmeleitfähigkeiten von ca. 0,029 bis 0,033 W·m−1·K−1, Polyurethan-Schäume mit Cyclopentan als Zellgas Wärmeleitfähigkeiten von ca. 0,022 bis 0,027 W·m−1·K−1. Die Polyurethan-Schäume können sowohl hart als auch flexibel mit unterschiedlichen Dichten eingestellt werden.
PU-Hartschaumplatten sind in verschiedenen Dichten verfügbar. Die Produkte sind teils mit Füllstoffen versehen (Glasmikroballons, Aluminiumpulver). Einsatzzweck sind Dämmstoffe sowie der Modell- und Vorrichtungsbau. Der Schaum wird dazu meist spanend bearbeitet.
Früher wurden Polyurethan-Schaumstoffe mit Pentabromdiphenylether flammgeschützt. Aufgrund der Toxizität dieses Stoffs kommen heute andere Flammschutzmittel wie beispielsweise TCPP zum Einsatz.[4][5]
Eine der wichtigsten Anwendungen von Polyurethanen ist der Einsatz in Lacken und Beschichtungen. Hier werden Polyurethane wegen ihrer guten Haftungseigenschaften als Grundierungen und wegen ihrer hohen Beständigkeit gegen Lösemittel, Chemikalien und Witterungseinflüsse als Deck- und Klarlacke in vielen Anwendungsbereichen verwendet. Hierzu gehören z. B. auch Bandbeschichtungs-Lacke und Beschichtungen für Fußböden. Des Weiteren zu nennen sind Textilbeschichtungen und -Ausrüstungen sowie Lederzurichtungen. Flächige Anwendungen zur Verklebung von unterschiedlichen, vorzugsweise flexiblen Materialien (im Bereich Schuhe, Holz/Möbel, Automobilinnenraum) sind ebenfalls ein wichtiges Anwendungsgebiet von Polyurethansystemen. In der Medizin werden Polyurethane als Liner in der Prothetik der unteren Extremitäten verwendet.
Zur Anwendung kommen flüssige Systeme, wie feuchtigkeitshärtende Prepolymere, 2-Komponenten-Systeme, High Solids, Polyurethan-Lösungen und Polyurethandispersionen, aber auch Feststoffe, z. B. Granulate (TPUs) oder Pulver, die aufgeschmolzen oder gelöst werden.
Aus Polyurethan werden Matratzen, Schuhsohlen, Dichtungen, Schläuche, Fußböden, Dämmstoffe, Lacke, Klebstoffe, Dichtstoffe, Skier, Autositze, Laufbahnen in Stadien, Armaturenbretter, Vergussmassen, latexfreie Kondome (Präservative), Gussboden und vieles mehr hergestellt.