Unter Mobbing in der Schule (auch: Bullying) versteht man ein gegen Schüler gerichtetes Drangsalieren, Gemeinsein, Ärgern, Angreifen, Schikanieren und Sekkieren.[1] Sind Lehrer Ziel solcher Angriffe, so spricht man üblicherweise von Mobbing am Arbeitsplatz. Mobbing in der Schule kann direkt (körperlich und verbal) oder auch indirekt (beispielsweise durch soziale Isolierung) erfolgen.[2]
Laut Dan Olweus bedeutet Mobbing/Bullying, dass „ein oder mehrere Individuen, wiederholte Male und über einen längeren Zeitraum negativen Handlungen von einem oder mehreren Individuen ausgesetzt sind“. Es handelt sich um negative Handlungen, wenn ein Individuum einem anderen Schaden beziehungsweise Unannehmlichkeiten zufügt oder zuzufügen versucht. Solche Handlungen können verbal (drohen, verspotten, beschimpfen, …), physisch (schlagen, schubsen, treten, kneifen, festhalten, …) oder non-verbal (Grimassen schneiden, böse Gesten, Rücken zuwenden, …) vonstattengehen. Olweus betrachtet auch einzelne schikanöse Vorfälle als Mobbing, wenn diese sehr schwerwiegend sind.[3] Bullying erfordert, dass zwischen dem Opfer und dem Täter (oder der Gruppe von Tätern) ein Ungleichgewicht der Kräfte herrscht, das sich auf körperliche oder psychische Stärke beziehen kann. Es handelt sich Olweus zufolge nicht um Bullying, wenn zwei gleich starke Schüler miteinander streiten.[4]
In einer 2007 vom Zentrum für empirische pädagogische Forschung der Universität Koblenz-Landau durchgeführten Online-Befragung, an der 1997 Schüler aller Klassenstufen teilnahmen, äußerten 54,3 Prozent, dass sie von direktem Mobbing betroffen seien. 19,9 Prozent fühlten sich von Cyber-Mobbing betroffen. Direktes Mobbing kommt häufiger in den unteren Klassenstufen vor, während in den höheren Klassenstufen der Anteil des Cyber-Mobbing ansteigt. Sowohl bei direktem Mobbing als auch bei Cyber-Mobbing sind männliche Schüler häufiger Opfer als weibliche.[5]
Der „Bullying- und Viktimisierungsfragebogen“ (BVF) (von Nandoli von Marées und Franz Petermann) gilt als ein Instrument, mit dem man das Ausmaß mutmaßlichen Mobbings an einer Schule messen kann. Von Marées veröffentlichte 2008 ihre Dissertation Konstruktion und Analyse von Instrumenten zur Erfassung vom Bullying im Vor- und Grundschulalter.[6] Die Schüler- und auch die Lehrerversion des BFV bestehen aus einer Täter- und einer Opferskala.[7]
Der US-amerikanische Psychologe Kenneth A. Dodge (Duke University) beschreibt Schulhofbullys als emotional ungebildete Kinder, die eine Tendenz haben, das Verhalten anderer Menschen als aggressiv und feindselig zu deuten. Sie nehmen andere spontan als Widersacher wahr und springen ohne Realitätsprüfung zu Schlussfolgerungen, dass der andere einem übel wolle. Infolgedessen schlagen sie beim geringsten Reiz „zurück“, ohne weitere Informationen einzuholen und ohne zu überlegen, wie der Konflikt friedlich beigelegt werden könnte. Während die meisten aggressiven Jungen bis zum Ende des zweiten Schuljahres gelernt haben, ihre Rauflust zu bändigen und Interessenkonflikte durch Verhandeln und Kompromisse beizulegen, sind Bullys im Gegenteil immer mehr auf Zwang und Einschüchterung angewiesen.[8]
Dagegen führt der Sozialpsychologe Elliot Aronson Mobbing unter den Schülern auf ihren Konkurrenzkampf zurück, so wie er von fast allen Unterrichtsformen gefördert wird.[9] Auch nach dem Schulforscher Wolfgang Melzer kann man Mobbing nicht auf bestimmte Täter- und Opferpersönlichkeiten zurückführen, sondern auf das Schulklima.[10]
Der Psychologe und Mobbingforscher Olweus unterscheidet zwischen zwei Idealtypen von Mobbingopfern an Schulen:
Die passiven Opfer sind im Allgemeinen ängstlicher und unsicherer. Sie sind empfindlich, vorsichtig und schweigsam, und lehnen sehr oft Gewalttätigkeit ab. Nach Olweus signalisiert das Verhalten der Opfer ihrer Umgebung, dass sie Angst haben und es nicht wagen, sich gegen den Störenfried zu wehren, wenn sie angegriffen werden. Gespräche mit den Eltern von drangsalierten Kindern weisen darauf hin, dass diese bereits im früheren Alter vorsichtig und feinfühlig waren.[3]
Seltener ist das provozierende Mobbingopfer, das im Allgemeinen unkonzentriert und nervös ist. Sein Verhalten schafft Ärger und ein gespanntes Verhältnis. Dies kann in seinem Umfeld negative Reaktionen auslösen.[3]
Die Situation für das Opfer stellt sich in der Regel wie folgt dar:
Gefährdet sind vor allem Kinder,
Eine britische Regierungsstudie ergab im Jahr 2008, dass die Möglichkeit, gemobbt zu werden, für Angehörige einer ethnischen Minderheit erhöht ist. Zudem seien Jungen und Mädchen gleich oft Opfer, während 80 Prozent aller behinderten Kinder angaben, in den letzten drei Jahren schwer unter Gleichaltrigen in ihrer Schule gelitten zu haben.[13]
Lehrpersonen tendieren laut einer Studie häufig dazu, ihre Aufmerksamkeit auf die Täter zu richten (z.B. autoritäre Interventionen), dabei übersehen sie oft die Bedürfnisse der Opfer. Es ist daher wichtig, dass Lehrpersonen vermehrt mit Opfern arbeiten und diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen.[14]
Mobber in der Schule haben eine positivere Einstellung gegenüber Gewalt als Durchschnittsschüler. Ihr Gewaltpotenzial richtet sich oft nicht nur gegen Schüler, sondern auch gegen Lehrer und Eltern. Die Mobber zeichnen sich oft durch Impulsivität und ein stark ausgeprägtes Bedürfnis, andere zu dominieren, aus. Sie haben ein durchschnittliches oder verhältnismäßig starkes Selbstvertrauen. Mehrere Analysen mit unterschiedlichen Methoden (unter anderem Untersuchung von Stresshormonen und projektive Tests) haben widerlegt, dass es sich bei den Aggressionen und dem brutalen Verhalten um ein Zeichen der Angst und des mangelnden Vertrauens („harte Schale − weicher Kern“) handeln könnte. Die empirischen Ergebnisse von Olweus weisen eher auf das Gegenteil hin. Die Mobber wären demnach weniger furchtsam und unsicher. Unsicherere und ängstlichere Individuen ergreifen üblicherweise nicht die Initiative. Sie tendieren dazu, Mitläufer oder Zuschauer zu sein.[3] Karl Gebauer sieht eine tiefer liegende Bindungsproblematik als Auslöser und in den Demütigungen und der Gewaltanwendung die Anzeichen einer emotionalen Unsicherheit.[15] Schäfer und Korn charakterisieren schikanierende Schüler als in gewissem Rahmen sozial kompetent. Sie üben großen Einfluss aus, sind aber unbeliebt und benutzen ihre sozialen Fähigkeiten zum Schaden ihrer Opfer.[16]
Typisch für die geistige Verfassung von Schulhofbullys sind Vorstellungen wie z. B. „es ist okay, jemanden zu schlagen, wenn du vor Wut ausflippst“, „wenn du vor einem Kampf zurückschreckst, denken alle, du bist feige“ oder „jemand, der zusammengeschlagen wird, leidet nicht wirklich so sehr“.[17] Wie die US-amerikanischen Psychologen John D. Coie und Janis B. Coopersmidt beschrieben haben, werden die meisten Schulhofbullys von ihren Altersgenossen schon zwei bis drei Stunden nach dem ersten Kontakt als unsympathisch beurteilt.[18] Don Offort hat in einer Langzeitstudie beobachtet, dass bis zu 50 % der Kinder, die als sechsjährige Unruhestifter waren, mit anderen Kindern nicht zurechtkamen und Eltern und Lehrern ständigen Widerstand entgegengesetzt haben, als Teenager straffällig wurden.[19] Weil sie sich in das soziale System des Klassenzimmers nicht einfügen und von Lehrern schnell als lernunwillig abgeschrieben werden, versagen Schulhofbullys spätestens von der dritten Klassenstufe an meist auch akademisch.[20]
Lehrpersonen reagieren gemäß einer Studie auf Mobbingfälle häufig primär durch autoritäre Interventionen (z.B. verbale Zurechtweisungen, Bestrafungen) gegen die Täter. Die zweithäufigste Intervention ist nicht-strafendes Arbeiten mit den Tätern (z.B. alternative Handlungsweisen aufzeigen, Ursachen besprechen). Zusätzlich werden Mobbingtäter oft an andere erwachsene Personen weiterverwiesen (z.B. Schulleitung) oder andere Personen aus dem Umfeld der Täter miteinbezogen (z.B. Eltern).[14]
Die Problematik des Opfers besteht sehr häufig darin, dass es, um dem Mobbing zu entgehen, zum Schulverweigerer wird oder die Schule verlässt bzw. wechselt. Faktisch wird damit das Opfer negativ sanktioniert, während der oder die Mobber indirekt belohnt werden. Die Solidarität der Lehrer mit dem Opfer ist nach bisherigen Erfahrungen wenig ausgeprägt.
Opfer von Mobbing können eine psychische Traumatisierung erleiden, selbstverletzendes Verhalten zeigen und auch gewalttätig reagieren, unter Umständen erst Jahre später. In Danzig nahm sich eine vierzehnjährige Schülerin das Leben und Amokläufe wie der Amoklauf von Emsdetten oder der Amoklauf von Kauhajoki werden mit einem jahrelangen Mobbing gegen den Amokläufer in Zusammenhang gestellt.[21][22]
Wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte auch ein Zusammenhang von Mobbing in der Schule und Rauschtrinken. Schüler, die verbale Aggressionen von ihren Lehrern erlebt hatten, waren zu einem höheren Prozentsatz mit Rauschtrinken involviert als Schüler, die keine Aggressivität von Lehrern ihnen gegenüber wahrgenommen hatten.[23]
Bei den Maßnahmen gegen Mobbing ist zwischen unmittelbaren Interventionen und längerfristigen systemischen Präventionsprogrammen zu unterscheiden. Bei ersteren spielen neben den Mitschülern besonders die in der Schule anwesenden Lehrpersonen eine große Rolle.[14] Lehrerpersonen haben mehrere Möglichkeiten, auf den Mobbingvorfall zu reagieren. Eine aktuelle Forschungsstudie zeigte, dass die Reaktionen am besten in fünf Verhaltensgruppen abgebildet werden können:
Deutschsprachige Lehrer bevorzugten autoritäre Maßnahmen und konzentrierten sich hauptsächlich auf die Täter. Auf die Unterstützung der Opfer legten sie weniger Wert.[14]
Auf der anderen Seite stehen umfangreiche Präventionsprogramme. So wurde beispielsweise in einigen Bundesländern damit begonnen, durch präventive Demokratieerziehung Mobbing den Nährboden zu entziehen. Beispielhaft steht hier das rheinland-pfälzische Netzwerk von sogenannten Modellschulen für Partizipation und Demokratie, in dem gemeinsame Strategien gegen Mobbing und Ausgrenzung entwickelt werden. In diesem Zusammenhang ist als eine wichtige Grundlage das von Wolfgang Wildfeuer entwickelte Trainingsprogramm zu nennen, das Lernenden gewaltfreies Konfliktlösen vermittelt und das u.a. im Rahmen des "Neuwieder Moderatorenmodells" verbreitet wird.[24]
Wissenschaftler der Duke University in North Carolina, darunter der Psychologe John Lochman, haben in den 1980er Jahren Versuchsprogramme durchgeführt, in denen sie aggressive Kinder darin trainiert haben, ihre eigenen Gefühle und die Gefühle und Absichten anderer Kinder aufmerksamer wahrzunehmen. Die teilnehmenden Kinder hatten drei Jahre später weniger Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl, in der Schule oder mit Alkohol oder Drogen als die Kinder der Vergleichsgruppe, die keine solche Förderung erhalten hatten.[25]
Als typische Reaktionen auf das Mobbing gelten der ängstliche Rückzug oder der Versuch, dem mobbenden Schüler zu gefallen. Dieses Verhalten aber stabilisiert die Gewalt-Dynamik zwischen Opfer und Täter. Dagegen setzt ein „energisches Auftreten gegenüber den Mobbern (…) der Gewalt viel eher ein Ende als ängstliches Zurückziehen.“[26] Wird ein Schüler gemobbt, sollte der Fall so schnell wie möglich offengelegt und das Gespräch mit Lehrern, Eltern, der Elternvertretung, der Schulleitung und letztendlich mit den mobbenden Schülern selbst gesucht werden. Die so genannte „Farsta-Methode“ und das „No Blame Approach“ sind erprobte Strategien, dem Problem zu begegnen.[27]
Greifen alle pädagogischen Maßnahmen nicht oder hat das Mobben bereits kriminelle Ausmaße angenommen, sollten sich die Betroffenen „auf keinen Fall scheuen, auch rechtliche Schritte einzuleiten“.[28] Zwar gelten Jugendliche in Deutschland bis zum 14. Lebensjahr als schuldunfähig, doch setzt die Anzeige eine Reihe von Maßnahmen in Bewegung, die zu Erziehungsmaßregeln und Jugendarrest führen können.
Eine Metaanalyse aus den USA zeigte, dass die meisten Programme zur Prävention des Mobbings in Schulen nur mäßige Verbesserungen zur Folge haben. Vor allem werden das Wissen über Mobbing, die Einstellungen und die Wahrnehmung des Themas verändert; der Einfluss auf die Häufigkeit der Mobbinghandlungen ist dagegen sehr gering[29].