Mapudungun | ||
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Gesprochen in |
Chile, Argentinien | |
Sprecher | etwa 260.000 | |
Linguistische Klassifikation |
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Sprachcodes | ||
ISO 639-1: |
– | |
ISO 639-2: |
arn | |
ISO 639-3: |
arn |
Mapudungun (mapu „Land“ + sdugun „Sprache“) ist eine indigene Sprache, die in Chile und Argentinien von den Mapuche gesprochen wird; sie ist im Deutschen bis heute auch unter der Fremdbezeichnung Araukanisch bekannt. Das Mapudungun ist eine der größeren isolierten Sprachen.
Die Volksgruppe der Mapuche besteht aus 600.000 Menschen, von denen etwa 260.000 zeitweise Mapudungun sprechen,[1] ungefähr 250.000 in Chile und 10.000 in Argentinien. Nach neueren Umfragen [2] sprechen aber nur rund 85.000 Mapuche diese Sprache auch mit ihren Kindern, weshalb Mapudungun zu den gefährdeten Sprachen gezählt wird.[3]
Als die Spanier ins heutige Chile vordrangen, trafen sie auf drei Araukaner-Gruppen, von denen sie eine, die Pikumche (<piku „Norden“ + ce „Mensch“) schnell unterwarfen. Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts hatte jedoch auch die südliche Williche-Gruppe (<wilhi „Süden“) ihre politische Unabhängigkeit verloren und nur noch die zentrale Gruppe der Mapuche (<mapu „Land“) konnte ihre Unabhängigkeit bis 1881 bewahren. Offiziell ist Mapudungun in keinem Land Staatssprache.
Die erste Grammatik des Mapudungun (damals noch „Chilenisch“ genannt) wurde vom Jesuiten Pater Luis de Valdivia[4] im Jahre 1606 veröffentlicht; einflussreicher waren freilich die Arbeiten der ebenfalls Jesuiten Andrés Febrés[5] (Arte de la Lengua General del Reyno de Chile, 1765, Lima) und Bernhard Havestadt[6] (Chilidúgú sive Res Chilenses, 1776, Westfalia).
Auf breiter Basis wurde die Sprache erstmals vom Ethnologen Rudolf Lenz und vom augsburger Kapuziner Felix de Augusta[7] (beide um 1900) beschrieben; Augustas Wörterbuch [8] ist bis heute (2015) das umfangreichste Werk dieser Art. Fast zeitgleich dazu veröffentlichte Moessbach auch den ersten umfassenden indigenen Bericht in den Erzählungen von Pascual Coña.[9]
Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erfuhr die Sprachforschung des Mapudungun eine neue Blüte durch zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze, aber auch umfangreichere Arbeiten von Adalberto Salas,[10] Brian Harmelink,[11] Ineke Smeets [12] und Fernando Zúñiga.[13] 1997 veröffentlichte ein Team der Wycliff-Bibelübersetzer in Zusammenarbeit mit SIL International erstmals das gesamte Neue Testament [14] auf Mapudungun.
Erwähnenswerte Darstellungen aus der Sicht der Mapuche sind volkstümliche Beschreibungen wie die von Segundo Llamin (Federico ñi Nütram, Lelfüntripa pichike che tañi chumgen[15]) und systematisch erscheinende Dichtungen wie beispielsweise von Elicura Chihuailaf[16] oder Beatriz Pichi Malen.[17]
Das Mapudungun tritt in einigen Sprachvarianten auf, die eigentlich Gebietsbezeichnungen und allesamt untereinander verständlich sind[18]; Unterschiede zeigen sich hauptsächlich in der Stimmhaftigkeit der Frikative, dem Auftreten von Interdentallauten, und Einzelheiten der Zeitwortkonjugation. In Mittelchile (Gulu Mapu) und angrenzendem Argentinien (Puel Mapu) sind das die Sprachformen
Im argentinischen Patagonien spricht man neben den beiden letzteren noch
Das im Schwinden begriffene Williche (auch Wiriche, Veliche, Chedungun), in der Küstenregion von Osorno (Chile) und in der Region des Nahuel-Huapi-Sees (Argentinien), ist mit den obigen Dialekten nicht mehr wechselseitig verständlich und wird im Gegensatz zu diesen oft als eigenständige Sprache aufgefasst.
Aus dem Mapudungun wurde das Wort „Poncho“ (aus pontro[8][13], „Decke“) über das Spanische in viele andere Sprachen, wie auch das Deutsche, übernommen. Interessanterweise ist die mapudungische Bezeichnung für das Poncho-Kleidungsstück aber eine andere, nämlich makunh[8].
Zahlreiche Tier- und Pflanzennamen für die einheimische Fauna und Flora wurden aus dem Mapudungun ins chilenische Spanisch und manchmal auch international übernommen. Die Namen der folgenden Liste sind, falls nicht ausdrücklich gekennzeichnet, sowohl bei Augusta [8] als auch bei Zúñiga [13] vermerkt:
Geografische Bezeichnungen aus dem mapudungischen Siedlungsraum haben in der Regel ihre ursprünglichen Namen behalten, darunter:
Mapudungun wird in lateinischer Schrift geschrieben; derzeit (2015) gibt es aber keine genormte Rechtschreibung und bisher erfolgte Vorschläge zur Schreibweise sind linguistisch und politisch umstritten[13], so wird zum Beispiel für den Namen der Sprache auch Mapuzugun oder Mapusdugun vorgeschlagen. Im folgenden vereinfachten Lautschema werden die IPA-Lautzeichen und (in Klammern) die in diesem Artikel verwendeten Buchstabengruppen für die verschiedenen Phoneme angeführt; für die Aussprache siehe die Verknüpfungen der einzelnen Zeichen:
vorne ungerundet | ungerundet | hinten gerundet | |
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offene Vokale | e (e) | a (a) | o (o) |
obere Vokale | i (i) | ɘ (y) | u (u) |
Silbenanlaut/Auslaut | j (j), i̯ (i) | . (q), ɰ (q) | w (w), u̯ (u) |
Die Halbvokale j und w kommen nur am Silbenanfang vor, und die Halbvokale i̯, ɰ, u̯ nur am Silbenende. Ein allgegenwärtiges, stets unbetontes [ə] ist für die meisten Autoren vorhersagbar und wird hier schriftlich wie [ɘ] behandelt.
Lippen | Zähne | Alveolar, Retroflex | Gaumen | Segel | |
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Laterallaute | l̪ (ld) | ɭ (l) | ʎ (lh) | ||
Nasallaute | m (m) | n̪ (nd) | ɳ (n) | ɲ (nh) | ŋ (g) |
Reibelaute | f (f) | θ (sd) | s (s), ɻ (r) | ʃ (sh) | |
Verschlusslaute | p (p) | t̪ (td) | t (t), ʈ͡ʂ (tr) | t͡ʃ (c) | k (k) |
Verschlusslaute und Affrikate kommen nur im Silbenanfang vor. Die im Pikumche- und Pewenche-Dialekt auftretende Stimmhaftigkeit der Reibelaute ist nicht bedeutungsrelevant. Nicht alle Laute haben übliche IPA-Zeichen: dentale Nasen- und Seitenlaute (mit der Zungenspitze zwischen den Schneidezähnen) wie l̪, n̪, t̪ sind in den Sprachen der Welt extrem selten vertreten, und die Kombinationen ʈ͡ʂ, ʈ͡ʃ werden als einheitliche Laute empfunden. Ein zuweilen zusätzlich auftretender Laut [ʈ] ist vermutlich nur eine freie Variante für [ʈ͡ʂ].
Silben haben die Form [K]V[H], also Anlaut-Silbenträger-Auslaut:
Die Betonung einer Silbe innerhalb eines Wortes ist nicht bedeutungsrelevant.
Die Vokale e,a,o sind immer Silbenträger. In den Fällen, in denen einer der Vokale i,ɨ,u nach einem Mitlaut eine neue Silbe beginnen soll, wird mit expliziter Schreibung von ji,qy,wu der Sprache keine Gewalt angetan, da diese Anlaute auch dann implizit realisiert werden, wenn sie nicht geschrieben werden.[13] In den seltenen Fällen, wo mit e,a,o nach einem Mitlaut eine neue Silbe beginnen soll, wird hier qe,qa,qo mit stummen q geschrieben.
Es folgen einige sprachliche Eigenschaften [13] des Mapudungischen, die vom Deutschen her gesehen besonders fremd anmuten können.
Das Mapudungische ist eine vorrangig anhand von Nachsilben agglutinierende Sprache. Aufeinanderfolgende Suffixe treten zahlreich bei Verben und Phrasen mit Verbalkern auf und eher spärlich bei Adverbien und Adjektiven; Substantive sind unveränderlich.
Beispiel:
In den unten vorgestellten Sprachproben hat ein finites Hauptsatzverb zwischen 2 und 5 Nachsilben (im Schnitt 3.08 Nachsilben), und ein nicht finites Nebensatzverb zwischen 1 und 4 Nachsilben (im Schnitt 2.13 Nachsilben).
In manchen Satzformen können Nachsilben nicht einzelnen Wortwurzeln, sondern nur gesamten Satzteilen zugeordnet werden,[23] wie etwa im Englischen the evil queen's mirror, womit [the evil queen]'s mirror gemeint ist.
Beispiele sind:
Dieser polysynthetische, oft inkorporierende Zug der Sprache führt manchmal zu Schwierigkeiten, wenn in der Rechtschreibung die Wortlücken festgelegt werden sollen.
Im Gegensatz zum Deutschen, wo bei Verben zwischen Vergangenheit und Nicht-Vergangenheit unterschieden wird,
unterscheidet das Mapudungun zwischen Nicht-Zukunft und Zukunft:
Bei Fürwörtern und Verben bezieht sich eine Mehrzahlendung stets auf drei oder mehr Personen, da für einen Hinweis auf zwei Personen eigene Endungen verwendet werden:
Diese Dualformen werden auch dann verwendet, wenn die beiden Bezugspersonen keine natürliche Einheit bilden.
Das Mapudungun verfügt über eine Vielfalt nicht-finiter Verbalformen. Wo das Deutsche auf Zusammensetzungen, Eigenschaftswörter, oder Nebensätze zurückgreift, wird im Mapudungischen oft eine nicht-finite Verbalphrase eingesetzt, zum Beispiel:
Die Wortstellung von Subjekt und Satzobjekten ist relativ frei; sie wird aber nicht über Präpositionen oder Deklination angegeben, sondern mit Hilfe von Verbalsuffixen. So bedeutet:
Um die obigen Satzstellungen im Deutschen nachzuahmen müssen zwei verschiedene Verben (geben und erhalten) verwendet werden; das Mapudungun benutzt nur ein Verb (elu-) mit verschiedenen Nachsilben. Die eckigen Klammern oben zeigen an, welche Satzteile im Mapudungischen die Kernaussage bilden. Bei drei Satzobjekten muss das „Akkusativobjekt“ (musdai bzw. Maisschnaps) ausdrücklich erwähnt werden und liegt unmittelbar vor dem Verb, unmittelbar nach dem Verb, oder manchmal sogar zwischen dem Verb und dessen Nachsilben.
Begriffsbewertungen des Sprechers haben eine systematische und produktive morphemische Ausprägung über Suprafixe. So sind die Mitlaute r, s, n, l immer neutral, interdentale Mitlaute sd, nd, ld sind je nach Wort entweder neutral oder abwertend, palatale Laute sh, nh, lh sind neutral oder aufwertend. Wörter mit neutralen Lauten können auf- oder abgewertet werden, indem der neutrale Laut durch den entsprechenden aufwertenden oder abwertenden Laut ersetzt wird, wie bei:
Im Pewenche-Dialekt sind derart Unterscheidungen jedoch nicht oder nicht mehr vorhanden.
Die folgende Sprachprobe wurde dem bisher bedeutsamsten mapudungischen Korpus entnommen, den Erzählungen Pascual Coñas[9], einem Sprecher des Lafkenche-Dialekts aus der Gegend um den Budisee um 1850. Seine Beschreibungen, benannt „Wie die Ahnen lebten“ (Kuifike ce jem cumgeci nhi asdmogefel egyn) wurden um 1926 von Ernst Wilhelm von Moessbach, einem Missionar des Kapuzinerordens, aufgeschrieben und veröffentlicht; hier ein Auszug aus Kapitel 13, Gapitun.
/kuifi | kakeumekefui | nhi niewyn | pu mapuce: |
früher | vielerlei-war | ihr sich-haben | [Mz] Mapuche |
Früher heirateten die Mapuche auf vielerlei Art: |
/kinheke meu | gilhan-entu-kefui | ylhca, |
einige bezüglich | kauf-hol-ten | Jungfrau |
Einige | holten sich eine Jungfrau durch Bezahlung, |
kagen meu | lef-je-kefui, |
andere bezüglich | flieh-trug-en |
andere | nahmen sie und flohen, |
kagen meu | myntukefui | fytda gelu | sdomo, |
andere bezüglich | gewaltraubten | mit-Mann seiend | Frau |
andere | raubten verheiratete Frauen im Krieg, |
kagen meu | gapitukefui | nhi fytapyra egyn. |
andere bezüglich | ritualraubten | ihre Herangewachsenen [Mz] |
andere | holten sich ihre Mädchen im Ritualraub. |
/feici | kure geken | newen meu | sdoi | mylekefui. |
dieses | Ehefrau mit-sein | Kraft bezüglich | mehr | befand-sich |
Diese Raubheiraten | waren die häufigsten. |
/feula | nytramjeafin | gapinh | sdygu. |
nun | sprechen-werde-ich-von | Raubbraut | Sache |
Im folgenden | beschreibe ich | den Ritualraub einer Braut. |
Folgende Sprachprobe ist von neuerem Datum und weiter gestreuten Sprechern, aus der Übersetzung des Neuen Testaments, Gynecen nhi Kyme Sdugu[14]. In dieser Übersetzung lassen sich kleinere Dialektunterschiede zum Text von Pascual Coña feststellen; so wird beispielsweise sdygu zu sdugu und fyca zu fytra; auffällig ist ebenfalls die Häufigkeit der Fokuspartikel ta, was aber vermutlich der Textgattung zuzuschreiben ist. Leider gibt die Schreibweise der Übersetzung die Aussprache nicht voll wieder, da Interdentallaute nicht gekennzeichnet sind und hier basierend auf Augustas Angaben der Ldafkenche-Variante eingefügt wurden.
/tajinh | cau, | wenu | mapu | mylelu, |
unser | Vater | Himmel | Land | befindend, |
Unser Vater | im Himmelreich, |
jamniegepe | tami | yi. | |
gefürchtet-werde | dein | Name. | |
geheiligt werde | dein Name. |
/felepe | mai | tami | logko | yldmen | gen. |
es-sei | gewiss | dein | Haupt | Adliger | -sein |
Werde wahrlich | du oberster Herrscher. |
/elumuajinh | tajinh | sduamtuelci | kofke |
du-wirst-uns-geben | unser | benötigtes | Brot |
Gib uns | unser | benötigtes | Brot |
kake | andty | gealu. | |
jeder | Tag | künftig-seiend | |
an jedem | kommenden Tag. |
/winho-sduamma-mujinh | tajinh | femkeelci | wesdake | sdugu |
zurücknimm-Absicht-uns | unsere | getätigte | üble | Sachen |
Vergib uns | unsere üblen Taten, |
/cumgeci | ta | inhcinh | winho-sduamma-tukefiinh |
wie | [ta] | wir | zurücknehmen-Absicht-stets-denen |
so wie wir stets vergeben |
tajinh | wesda | femkeeteu. | |
unsere | üblen | Täter | |
unseren Übeltätern. |
/kintu- | -ka-sduam- | -geljinh, |
gesucht- | -andere-Gedanken | -werdend-wenn-wir |
Wenn wir von fremden Gedanken aufgesucht werden, |
elu-mukiljinh | tajinh | femael | wesdake | sdugu. | |
gib-nicht-uns | unser | Tätigen | schlechte | Dinge | |
vermeide | dass wir Böses tun. |
Referenzfehler: Das in <references>
definierte <ref>
-Tag mit dem Namen „2002_INE_indigenas“ wird im vorausgehenden Text nicht verwendet.