Das Magische Viereck beschreibt ein volkswirtschaftliches System der folgenden vier wirtschaftspolitischen Ziele:
Die Ziele und deren Gleichrangigkeit sind im deutschen Stabilitätsgesetz von 1967 zwar gesetzlich verankert, gelten allerdings für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank beispielsweise nicht. Preisniveaustabilität ist ihr vorrangiges, den anderen übergeordnetes Ziel.[1]
Wirtschaftspolitische Ziele werden für wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche gesetzt, in denen bereits ungenügende Ergebnisse festgestellt worden sind oder wo Fehlentwicklungen befürchtet werden. Die Aufmerksamkeit von Staat, Notenbank und Sozialpartnern soll dadurch ständig auf diese Punkte hin ausgerichtet werden. Insofern wäre es konsequent gewesen, auch das Ziel einer gerechten Einkommensverteilung in den gesetzlichen Zielkatalog aufzunehmen. Allerdings ist diese Zielvorgabe noch weniger scharf bestimmbar als die übrigen.[2]
Ein Erreichen dieser Ziele entspreche dem makroökonomischen Gleichgewicht. Der Begriff magisch drückt jedoch aus, dass alle Ziele gleichzeitig kaum erreicht werden können, da untereinander Inkongruenz herrscht.
Tatsächlich können in manchen Situationen Ziele zueinander kongruent sein, das heißt, sie können sich gegenseitig unterstützen, z. B. Wirtschaftswachstum und hohes Beschäftigungsniveau (Okunsches Gesetz), andere sich jedoch gegebenenfalls konkurrierend verhalten (Werte-Inkongruenz), z. B. kurzfristig Preisniveaustabilität und Wirtschaftswachstum oder Preisniveaustabilität und ein hoher Beschäftigungsstand (Phillips-Kurve). Darüber hinaus gibt es die situationsbezogene Zielkonkurrenz, z. B. in einer Rezession möchten die Ziele Preisniveaustabilität und Beschäftigung nicht im Widerspruch stehen, in einer Phase der Hochkonjunktur wirken konkurrierende Ziele zwar ebenso blockierend, stellen aber keine wirtschaftliche Gefährdung dar.
Die Höhe des Beschäftigungsstandes wird anhand der Arbeitslosenquote gemessen.
[math]\text{Arbeitslosenquote} = \frac{ \text{Zahl der registrierten Arbeitslosen} }{ \text{Zahl der zivilen Erwerbstätigen} + \text{Arbeitslose}} * \text{100}[/math]
Beträgt die statistisch erfasste Arbeitslosenquote weniger als drei Prozent, wird üblicherweise von Vollbeschäftigung gesprochen. Der Anteil darunter wird als „freiwillige“, „friktionelle“ oder „saisonale“ Arbeitslosigkeit erklärt.
Der Verlauf der Arbeitslosigkeit in Deutschland lag während der Großen Depression in den 1920er Jahren bei 14 Prozent. Nach Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1949 bestand in der Bundesrepublik Deutschland zunächst eine Arbeitslosenquote von über 10 %, die danach stetig zurückging. Aufgrund des Wirtschaftswunders herrschte von Mitte der 1950er bis Ende der 1950er Jahre Vollbeschäftigung bis hin zu Arbeitskräftemangel. Nach dem Ende des Nachkriegsbooms stieg die Arbeitslosenquote in den 1970er Jahren auf durchschnittlich 4 %, in den 1980er Jahren auf etwa 8 %. Nach der Wiedervereinigung stieg die Arbeitslosenquote weiter an auf bis zu 13 % (2005), seitdem sank sie wieder auf aktuell unter 7 %. [3][4]
Mit einem angemessenen Wachstum wird die allgemeine Erhöhung des Wohlstandes eines Landes bezeichnet, die besondere Bedeutung für weniger wohlhabende Bevölkerungsgruppen hat. Ein stetiges Wachstum soll starke Ausschläge in der Entwicklung und Schwankungen in der Beschäftigung vermeiden.[5]
Wirtschaftswachstum liegt vor bei einer Zunahme des realen Bruttonationaleinkommens bzw. des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Deutschland war die Menge der produzierten Güter und Dienstleistungen pro Kopf im Jahre 2000 achtundzwanzig Mal so hoch wie 1870.[6]
Die prozentuale Veränderung im Wachstum der Volkswirtschaft wird rückwirkend jeweils einmal pro Quartal erfasst. In Deutschland gelten die Werte von zwei aufeinanderfolgenden Quartalen als Signalgeber. In den USA wird dagegen nur ein Quartalswert genommen und auf das Jahr hochgerechnet.
Phasen besonders starken Wachstums waren in Deutschland die sogenannte Gründerzeit von ca. 1870–1913 und die Zeit des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg. Phasen besonders starker Schwankungen waren die beiden Weltkriege und die Große Depression in den 1920er und 1930er Jahren. In den letzten 100 Jahren war das Wachstum demzufolge nicht durchgängig stetig. Seit Gründung der Bundesrepublik zeigt das Wachstum einen Verlauf, den man eher mit dem Begriff „stetig“ bezeichnen kann. Aber auch in dieser Zeit gab es Dellen (Erste Schwächephase 1966/1967, Ölkrise 1973–1975, Rezessionen 1981/1982 und 1993/1994, Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009).[7]
Mit Hilfe der Inflationsrate wird die Preisniveaustabilität gemessen. Es wird ein Warenkorb mit den üblicherweise konsumierten Gütern zusammengestellt, deren Preise monatlich erhoben werden. Vergleicht man das Preisniveau des Warenkorbs mit dem des Vorjahres, so erhält man die Veränderung, die bei positivem Vorzeichen als Inflation und bei negativem Vorzeichen als Deflation bezeichnet wird. Eine Inflationsrate von nahe, aber unter, zwei Prozent pro Jahr wird beispielsweise von der Europäischen Zentralbank als Preisniveaustabilität interpretiert. Diese Angabe lässt allerdings einiges an Interpretationsspielraum.[8]
Preisniveaustabilität bewirkt, dass Geld in einer Marktwirtschaft seine Funktionen als Tauschmittel, Wertspeicher und Recheneinheit wahrnehmen kann.
Der Indikator hierfür ist die Außenbeitragsquote. Sie errechnet sich aus dem Außenbeitrag (= Exporte minus Importe von Waren und Dienstleistungen) dividiert durch das nominale Bruttoinlandsprodukt.
[math]\text{Außenbeitragsquote} = \frac{ \text{Exporte} - \text{Importe} }{ \text{nominales Bruttoinlandsprodukt} } \cdot 100\%[/math]
Während der Entstehung des Stabilitätsgesetzes in den 1960er Jahren war Deutschland noch in ein System fester Wechselkurse (Bretton-Woods-System) eingebunden. Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht bedeutete unter dem damaligen Gesichtspunkt ein Zustand, der die Teilnahme an diesem System nicht gefährdet. 1973, als sich dann das System der freien Wechselkurse etablierte, wurde dieses Ziel allerdings nicht neu definiert. Das Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts wird deswegen auch oft aus dem Magischen Viereck herausgehalten.[9] Tatsächlich kann es aber als Vermeidung eines kontinuierlichen Leistungsbilanzdefizits oder -überschusses verstanden werden.
Die vier Ziele des magischen Vierecks werden in § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von 1967 genannt. Sie bilden zusammen das Staatsziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG).[10]
Die Ziele sind eigentlich als gleichberechtigt gedacht gewesen; durch das Europarecht wird jedoch der Preisniveaustabilität eine herausragende Stellung eingeräumt (vgl. Art. 4 Abs. 2 und Art. 105 EGV, Art. 88 Satz 2 GG).
Von einem magischen Dreieck spricht man bei der Beobachtung der drei Ziele Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Bisweilen ist auch vom magischen Fünfeck, Sechseck, Siebeneck, Achteck oder Neuneck die Rede, wobei dann jeweils das magische Viereck um einen oder mehrere der folgenden Punkte erweitert wird:
Das Denkwerk Demokratie, ein von SPD, Grünen und Gewerkschaften getragener Think Tank, hat 2013 ein neues magisches Viereck für die Wirtschaftspolitik vorgeschlagen, das die vier bisherigen Ziele durch die folgenden vier neuen Ziele ersetzt:[11]
Dieser neue Ansatz geht dabei auf ein im Herbst 2012 von Sebastian Dullien und Till van Treeck erstellte Studie für das Denkwerk Demokratie zurück.[12]
Im Dezember 2015 veröffentlichte das Denkwerk Demokratie eine Studie unter dem Titel Das neue Magische Viereck im Realitätscheck.
Die neue Studie definiert gegenüber der Studie aus dem Jahr 2013 ein leicht modifiziertes Indikatorenset. Nach diesen Messgrößen verschlechterte sich die soziale und ökologische Nachhaltigkeit in den Jahren 2009 bis 2013 in Deutschland kontinuierlich. Unverändert schlägt das Institut vor, mit dem „neuen magischen Viereck“ Wohlstandsentwicklung und Nachhaltigkeit in Deutschland abzubilden.[13]