Die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş e.V. (Abk. IGMG, türkisch İslam Toplumu Millî Görüş) ist ein seit 1995 eingetragener Verein und hat ihren Sitz in Kerpen. Sie stellt die zweitgrößte muslimische Religionsgemeinschaft in Deutschland dar.[1] Sie wurde wegen angeblicher radikaler Tendenzen von den deutschen Verfassungsschutzbehörden viele Jahre beobachtet. Die IGMG ist Mitglied im Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der wiederum Gründungsmitglied des Koordinationsrats der Muslime ist. Die IGMG ist aus der türkischen Millî-Görüş-Bewegung entstanden.
Die religiösen, kulturellen und sozialen Dienstleistungen der IGMG werden je nach Aufgabenstellung vom Zentralverband, den Regionalverbänden und den Moscheegemeinden wahrgenommen. Letztere stellen die Infrastruktur für die tägliche Religionsausübung wie Gebetsräume und Imame zur Verfügung.
Eigenen Angaben zufolge unterhält die IGMG weltweit 518 Moscheegemeinden, von denen 304 ihren Sitz in Deutschland haben, und insgesamt etwa 2.330 Einrichtungen. Organisatorisch sind die lokalen Gemeinden in 35 Regionalverbänden zusammengefasst, 15 davon in Deutschland.[2] Die Gesamtmitgliederzahl wird mit 127.000 beziffert, die Gemeindegröße liege bei etwa 350.000 Personen.[2] Die Mitglieder- bzw. Anhängerzahl wird in Deutschland mit 31.000 angegeben.[3]
Die IGMG bietet den Muslimen umfassende Dienstleistungen an, wie sie typischerweise von Religionsgemeinschaften erbracht werden. Dazu gehören: Irschad (Religiöse Wegweisung), Bildung, soziale Dienste, Gemeindeentwicklung, Frauen- und Jugendarbeit.
Camia, die Verbandszeitung der IGMG, erscheint im Zweiwochenrhythmus und hat eine Auflage von 45.000.[4] In der Camia werden die Gemeindeangehörigen der IGMG über Neuigkeiten aus der IGMG Zentrale, aus den Regionalverbänden und den Moscheevereinen vor Ort informiert. Religiöse Texte, ein Familien- und Jugendteil, ein Kunst- und Kulturteil sowie themenrelevante Nachrichtentexte gehören ebenfalls zu den festen Inhalten der Zeitung. Die Camia ist vergleichbar mit klassischen Verbandszeitschriften anderer religiöser Organisationen, ist in diesem Umfang aber einmalig unter den islamischen Religionsgemeinschaften mit Hauptsitz in Deutschland.
Im Zuge der Gastarbeiteranwerbung ab den 1960er Jahren kamen aus der Türkei und anderen Ländern mehrere Millionen Muslime nach Westeuropa. Anfang der 1970er Jahre richteten sich muslimische Arbeiter zur Verrichtung ihrer Gebete kleine Gebetsstätten ein. Ende der 1970er Jahre kam es aus organisatorischen Gründen zunächst zu regionalen, später zu überregionalen Zusammenschlüssen dieser Gemeinden. Aus dieser Konzentrationsbewegung gingen die Vorläufer der IGMG hervor. Die IGMG selbst wurde im Jahr 1995 gegründet.
Vorsitzender der IGMG ist seit Mai 2011 Kemal Ergün.[5] Der stellvertretende Vorsitzende der IGMG ist seit Mai 2011 Hakkı Çiftçi;[5] kommissarischer Generalsekretär ist seit Ende Februar 2015 Bekir Altaş.[6]
Aufgrund der Entstehungsgeschichte wird die IGMG vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowie von einigen Landesämtern (LfV) beobachtet. Das BfV ordnet die IGMG dem so genannten „legalistischen Islamismus“ zu. Diese seien verfassungsfeindlich, lehnten aber Gewalt ab. Die IGMG versuche, ihren Mitgliedern ein islamkonformes Leben in Deutschland mit politischen Mitteln zu ermöglichen.[3]
Die IGMG konnte gegen den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen mit Beistand durch den Rechtsanwalt Michael-Hubertus von Sprenger sieben Unterlassungserklärungen einklagen. In mindestens einem Fall unterlag auch der Freistaat Bayern vor Gericht.[7]
Die Beobachtung der IGMG von Seiten des Verfassungsschutzes wird neuerdings immer häufiger in Frage gestellt. Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz etwa teilte im April 2014 mit, die Beobachtung der IGMG bereits eingestellt zu haben. Es gebe keine Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.[8] Im Mai kündigte auch das niedersächsische LfV eine Neubewertung an. Die IGMG sei nicht mehr eindeutig dem islamistischen Spektrum zuzuordnen. LfV-Präsidentin Maren Brandenburger sprach[9] von einem Reformkurs, „der dafür spricht, dass die Gesamtorganisation nicht mehr eindeutig dem islamistischen Spektrum zugerechnet werden kann“.[10] Im Juni 2014 veröffentlichte das LfV in Bremen seinen Bericht, in dem die IGMG nicht mehr aufgeführt wurde. Im April 2015 schloss sich auch das Land Schleswig-Holstein der Neubewertung an. Das Innenministerium teilte mit, dass „nicht mehr alle Gliederungen der IGMG als verfassungsfeindlich angesehen werden“ und die Beobachtung der IGMG als Ganzes eingestellt worden sei.[11] Die Länder Nordrhein-Westfalen[12] und Saarland[13] führten die IGMG in ihren jeweiligen Jahresberichten für das Jahr 2014 ebenfalls nicht mehr auf.