Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist ein Konzept, das von Marshall B. Rosenberg entwickelt wurde. Es soll Menschen ermöglichen, so miteinander umzugehen, dass der Kommunikationsfluss zu mehr Vertrauen und Freude am Leben führt. GFK kann in diesem Sinne sowohl bei der Kommunikation im Alltag als auch bei der friedlichen Konfliktlösung im persönlichen, beruflichen oder politischen Bereich hilfreich sein. Im Vordergrund steht nicht, andere Menschen zu einem bestimmten Handeln zu bewegen, sondern eine wertschätzende Beziehung zu entwickeln, die mehr Kooperation und gemeinsame Kreativität im Zusammenleben ermöglicht. Manchmal werden auch die Bezeichnungen „Einfühlsame Kommunikation“, „Verbindende Kommunikation“, „Sprache des Herzens“ oder „Giraffensprache“ verwendet.
Rosenberg hat an der University of Wisconsin–Madison in klinischer Psychologie promoviert. Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation entstand aus Rosenbergs Auseinandersetzung mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den frühen 1960ern. Er half dabei, die Rassentrennung an Schulen und Institutionen auf friedvollem Wege rückgängig zu machen. Als er mit zunehmendem Erfolg mehr Menschen traf, die ihn auch finanziell unterstützen wollten, gründete er (zunächst aus steuerlichen Gründen) die Non-Profit-Organisation „Center for Nonviolent Communication“.
Rosenberg hat Zeit seines Lebens Trainingskurse in Gewaltfreier Kommunikation in Schweden, der Schweiz, Italien, Deutschland, Israel, Dänemark, Polen, Ungarn, Malaysia, Indien, den USA und vielen weiteren Staaten angeboten. Er ist lange Zeit auch in Krisengebieten und ökonomisch benachteiligten Regionen wie Palästina, Serbien und Ruanda tätig gewesen und hat über mehrere Jahre seinen Lebensmittelpunkt in der Schweiz gehabt. Bis zu seinem Tod im Februar 2015 verbrachte er seinen Lebensabend in Albuquerque (New Mexico, USA).
1994 haben serbische Pädagoginnen und Psychologen – unterstützt von UNICEF – ein dreibändiges Werk zum Erlernen Gewaltfreier Kommunikation nach Rosenbergs Methode für Kindergärten und Schulen entwickelt. Rosenberg hat auch ein speziell auf Kinder zugeschnittenes Konzept des Lernens der GFK entwickelt.
Das Konzept der GFK kann in vielen Bereichen verwendet werden, so etwa in Bildungseinrichtungen, Organisationen, Institutionen, privaten Beziehungen, Therapie, Beratung, Verhandlungen, Diplomatie und überall, wo Konflikte auftreten. Viele Coaching- und Mediations-Agenturen bieten Fortbildungen und Seminare zur GFK an und nutzen sie zur Bearbeitung von Konflikten.
Die GFK steht in der Tradition der klienten-zentrierten Gesprächstherapie, die Rosenbergs Lehrer Carl Rogers entwickelte. Das aktive Zuhören steht bei Rogers im Mittelpunkt, die GFK geht jedoch über den gesprächstherapeutischen Rahmen hinaus. Beeinflusst ist die GFK auch von Mahatma Gandhi und seinen Überlegungen zur Gewaltfreiheit, ahimsa genannt, die auf den Upanishaden basieren. Viele Elemente der GFK finden sich auch in anderen Konfliktlösungstechniken, wie im Gütekraft-Konzept von Martin Arnold, der Mediation und den Win-Win-Strategien.
Empathie ist nach Rosenberg eine Grundvoraussetzung gelingender Kommunikation. Er geht davon aus, dass die Form, in der Menschen miteinander kommunizieren, einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob sie Empathie für ihr Gegenüber entwickeln und ihre Bedürfnisse erfüllen können. Außerdem nimmt er an, dass Menschen unter freien Bedingungen die empathische Verbindung zum Mitmenschen suchen. Die GFK soll helfen, sich ehrlich und klar auszudrücken und empathisch zuzuhören. Sie ist auf die Bedürfnisse und Gefühle gerichtet, die hinter Handlungen und Konflikten stehen. Sie ist weniger als eine Kommunikations-Technik zu betrachten, sondern mehr als eine Bewusstwerdung über Möglichkeiten des empathischen Kontaktes. Dabei ist es prinzipiell nicht nötig, dass beide Kommunikationspartner GFK anwenden – auch wenn es, gerade für Anfänger, sehr hilfreich ist, wenn beide wissen, wie viel Potenzial in der einfühlsamen Verbindung steckt. In der GFK ist die Empathie unter zwei Gesichtspunkten bedeutsam. Neben der Einfühlung in eine andere Person ist auch die Selbstempathie wichtig, um Klarheit in einer Situation zu erhalten und damit zu ermöglichen, Strategien zu finden, die der Bedürfniserfüllung auf allen Seiten dient.[1][2]
Rosenberg nimmt an, dass jeder Mensch gern bereit sei, etwas für einen anderen Menschen zu tun, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind (z. B. die Anfrage als Bitte formuliert ist und nicht als Forderung, er nicht den Eindruck hat, dadurch eine Pflicht abzuarbeiten oder den anderen in eine Pflicht zu setzen und so weiter). Dieses Menschenbild geht auf die der humanistischen Psychologie entlehnte Haltung zurück, in einer schädigenden Aktion eines Individuums nicht den Ausdruck des inneren Wesens zu sehen, sondern die „fehlgeleitete“ Strategie eines eigentlich positiven Impulses. Rosenberg bezieht sich besonders auf Carl Rogers. So nennt Rosenberg jede Form von Gewalt einen tragischen Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses.
Rosenberg nennt mehrere Auslöser, die zu Konflikten führen können[3]:
Rosenberg unterscheidet zwei Arten zwischenmenschlicher Kommunikation, die Gewaltfreie Kommunikation und die lebensentfremdende Kommunikation. Zur spielerischen Veranschaulichung wird in Vorträgen und Seminaren dies auch als „Giraffensprache“ und „Wolfssprache“ bezeichnet.
Unter lebensentfremdender Kommunikation versteht Rosenberg Formen der Kommunikation, die Verbindungen zwischen Menschen blockieren und zu psychischer oder physischer Gewalt beitragen können. Lebensentfremdende Kommunikation ist gekennzeichnet durch folgende Eigenschaften:
Um das Problem nicht fortzusetzen, wäre der Anspruch aus der Gewaltfreien Kommunikation, einen Menschen, der sich „lebensentfremdender Kommunikation“ bedient, nicht moralisch zu verurteilen. Auch hinter dieser Form der Kommunikation stehen unerfüllte Bedürfnisse, deren Wahrnehmung allerdings schwieriger sein kann.
Die vier Schritte der GFK sind Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte:[5]
Rosenberg fasst die Schritte der GFK in folgendem Satz zusammen:
Auch als Haltung für das empathische Zuhören empfiehlt Rosenberg, aus dem, was der andere sagt, diese vier Informationen herauszufiltern, da sie in der Regel das Herz der Botschaft darstellen. Zur Überprüfung, ob seine Deutung stimmt, kann der Zuhörende anbieten, was er in Form der vier Schritte hört („Fühlst du …, weil dir … wichtig ist?“). Das kann auch hilfreich sein, wenn der Sprecher durch dieses Spiegeln selber mehr Klarheit darüber gewinnt, was er eigentlich ausdrücken will. Das ausgesprochene und stille empathische Zuhören ist ein wesentlicher Aspekt der Anwendung von GFK.
Das formale Grundmodell ist nach Rosenberg eine Art Übergangshilfe für die Schulung der Aufmerksamkeit, nicht jedoch ein Ersatz für die Alltagssprache. Man braucht in der Regel erhebliche Übung, bis die GFK in der Alltagssprache zu einer flüssigen Kommunikation wird.
Wenn eine Problemlösung im Gespräch nicht möglich ist und zur Setzung von Grenzen führt, spricht Rosenberg von der schützenden Anwendung von Macht, die er von der strafenden Anwendung unterscheidet. Während letztere den Fokus hat, menschliches Verhalten auf Basis von Selbsthass zu ändern, geht es bei ersterer darum, weitere Verletzungen zu verhindern und für Schutz zu sorgen, aus dem heraus überhaupt erst wieder die Bereitschaft entstehen kann, erneut in Kontakt zu treten.
Formale Gewaltfreie Kommunikation, lebensentfremdende Kommunikation und eine mögliche empathische Reaktion darauf am Beispiel einer schmutzigen WG-Küche.
Gewaltfreie Kommunikation | Lebensentfremdende Kommunikation | Empathische Reaktion auf lebensentfremdende Kommunikation | |
Beobachtung | Konkrete Handlungen, die wir beobachten und die unser Wohlbefinden beeinträchtigen.
|
Beobachtung und Bewertung werden vermischt.
|
„Du hast wiederholt dreckiges Geschirr vorgefunden?“ |
Gefühl | Die Gefühle werden mit dem in Verbindung gebracht, was wir beobachten.
|
Keine Erläuterung über Zusammenhang der Situation mit dem Gefühl, sondern: Eine Interpretation wird als Gefühl geäußert. Schuldzuweisungen, Vorwürfe, Pauschalisierungen.
|
„Bist Du frustriert …“ |
Bedürfnis | Bedürfnisse, aus denen Gefühle entstehen, werden betrachtet und mitgeteilt.
|
Das Bedürfnis wird nicht (klar) geäußert, stattdessen wird der andere moralisch verurteilt.
|
„… weil du dir mehr Unterstützung wünschst?“ |
Bitte | Um eine konkrete Handlung wird gebeten – auch Nichterfüllung ist in Ordnung.
|
Es wird eine Forderung gestellt. Bei Nichtbeachtung drohen Sanktionen.
|
„Wünschst du dir, dass wir eine konkrete Absprache über das Spülen machen?“ |
Nach Rosenberg ist die wichtigste Grenze der GFK die „individuelle Entwicklung“ des Anwenders, die Zeit und Energie braucht. Beispielsweise können bestimmte Bereiche des Lebens sehr mit Angst oder bestimmten Vorstellungen besetzt sein, so dass ein offenes Besprechen der Gefühle und Bedürfnisse sehr viel Mut kosten würde. Wie viel Bereitschaft der einzelne dazu hat, diesen Mut aufzubringen, hängt dann davon ab, wie er sich und seine Bedürfnisse bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hat, was ein Merkmal genereller Entwicklung des Menschen darstellt. Der Prozess der GFK selbst braucht ebenfalls Zeit und die Bereitschaft eines Gegenübers, diese Zeit zu investieren. Zeit, Bereitschaft und Mut dazu sind aber insbesondere in Machtsituationen oft nur einseitig vorhanden.
Referenzfehler: Das in <references>
definierte <ref>
-Tag mit dem Namen „Emmert_2010“ wird im vorausgehenden Text nicht verwendet.