Das Bruttoinlandsprodukt, in der Schweiz auch Bruttoinlandprodukt[1] (Abkürzung: BIP; englisch Gross Domestic Product, GDP), gibt den Gesamtwert aller Güter, d. h. Waren und Dienstleistungen, an, die innerhalb eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt wurden, nach Abzug aller Vorleistungen.[2] Somit werden nur alle finalen Güter, also Güter auf Stufe der Endverwendung, als Wirtschaftsleistung erfasst. Bei der Berechnung werden Güter, die nicht direkt weiterverwendet, sondern auf Lager gestellt werden, als Vorratsveränderung berücksichtigt.
Im Unterschied zum Bruttonationaleinkommen werden bei der Berechnung des BIP nur die Leistungen von Inländern erfasst, es wird das sogenannte Inlandsprinzip angewendet. Das Bruttonationaleinkommen hingegen richtet sich nach dem Inländerprinzip. Es werden hierbei auch die Leistungen von im Ausland lebenden Inländern berücksichtigt; umgekehrt werden die Leistungen abgezogen, die Ausländer im Inland erbracht haben. Werden vom BIP die Abschreibungen abgezogen, ergibt sich das Nettoinlandsprodukt (NIP).
Das BIP ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Die Veränderungsrate des realen BIP dient als Messgröße für das Wirtschaftswachstum der Volkswirtschaften und ist damit die wichtigste Größe der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.[3]
Das Bruttoinlandsprodukt kann sich sowohl auf Staaten als auch auf andere administrative oder geographische Einheiten beziehen. Teilweise werden dann die Begriffe Bruttoregionalprodukt, Gross Provincial Product, Bruttoweltprodukt und andere verwendet.
Die ersten Grundsteine des BIP finden sich im 17. Jahrhundert beim britischen Ökonomen William Petty.[4] Er versuchte durch Datenerhebungen und empirische Forschungen Zusammenhänge zwischen Entwicklungen und dem Wohlstand und der Zufriedenheit der Bürger zu finden, damit die Regierung ihre Politik mit dieser Hilfe entsprechend verbessern und Steuereinnahmen erhöhen könne. Erst deutlich später, in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, nahm die Diskussion um eine systematisiertere Erfassung von Wirtschaftsdaten zur Wohlstandsmessung, vor allem in den USA und England, parallel zum wachsenden Forschungsgebiet der Volkswirtschaftslehre, an Bedeutung zu. Im Jahr 1940 empfahl John Maynard Keynes in How to pay for the war[5] nicht nur Konsum und Investitionen, sondern auch Staatsausgaben mit ins Volkseinkommen einzurechnen, was auch noch der heutigen Definition des BIPs entspricht.
Der Begriff Bruttosozialprodukt wurde vom amerikanischen Ökonomen Simon Smith Kuznets geprägt, der schon 1934 den amerikanischen Kongress auf die begrenzte Möglichkeit der Wohlstandsmessung durch diesen Indikator hinwies.
Der britische Ökonom Angus Maddison ermittelte rückwirkend das BIP pro Kopf für einen Zeitraum von bis zu 2000 Jahren.
Berechnet wird das BIP in Deutschland vom Statistischen Bundesamt. Es legt jährlich zweimal Berechnungen für das BIP des Vorjahres vor, im Frühjahr und im Herbst. Im Herbst werden nicht nur die Zahlen für das Vorjahr, sondern auch die für die früheren Jahre einer Prüfung unterzogen und in der Regel etwas revidiert. Für den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung im Januar liefert das Statistische Bundesamt ebenfalls Zahlen für das gerade beendete Jahr, die dann teilweise noch auf Schätzungen beruhen. Außerdem legt das Statistische Bundesamt vierteljährlich Zahlen zum BIP und seinen Aggregaten vor.
Das nominale BIP gibt die Summe der inländischen Wertschöpfung beziehungsweise der Wertschöpfung von Regionen in aktuellen Marktpreisen an. Dadurch ist das BIP abhängig von Veränderungen des Preisindex der betrachteten Volkswirtschaft. Das nominale BIP steigt bei Inflation und daraus folgenden steigenden Marktpreisen. Umgekehrt sinkt das nominale BIP bei Deflation und daraus folgenden sinkenden Marktpreisen. So führt eine Inflationsrate von zum Beispiel fünf Prozent bei gleich bleibender Güterproduktion zu einem nominalen BIP-Anstieg von ebenfalls fünf Prozent.
Um das BIP unabhängig von Veränderungen der Preise betrachten zu können, verwendet man das reale BIP, in dem alle Waren und Dienstleistungen zu den Preisen eines Basisjahres bewertet werden (BIP zu konstanten Preisen). In Deutschland verwendet das Statistische Bundesamt seit 2005 Kettenindizes.[6]
Wenn man die Preissteigerung seit dem Basisjahr kennt, lässt sich das reale BIP mittels folgender Formel aus dem nominalen BIP errechnen:
Der BIP-Deflator ist der Quotient aus nominalem und realem BIP eines Jahres. Er wird als impliziter Preisindex des BIP bezeichnet und misst die Preisentwicklung der produzierten Endgüter.[8]
Werden vom BIP die Abschreibungen abgezogen, ergibt sich das Nettoinlandsprodukt. Diese Abschreibungen beziehen sich jedoch nur auf die Wertminderung des Anlagevermögens durch Verschleiß und Alterung - also nur die Abschreibungen, welche für zukünftige Ersatzinvestitionen vorgenommen werden.
+ Bruttoinlandsprodukt | |
− Abschreibungen | |
| |
= Nettoinlandsprodukt |
Das Bruttoinlandsprodukt ist über drei verschiedene Wege ermittelbar. Alle Berechnungsmethoden führen zum gleichen Ergebnis. Dies wird im Folgenden am Beispiel Deutschlands im Jahre 2007 verdeutlicht (das BIP betrug damals 2.423,8 Mrd. Euro.[9])
Die Methoden zur Erhebung der Daten und zur Berechnung des BIP werden in unregelmäßigen Abständen revidiert. So werden seit der letzten Revision der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vom 28. April 2005 beispielsweise die bis dahin nicht erfassten indirekten Entgelte der Banken aus dem Kredit- und Einlagengeschäft berücksichtigt. Um den historischen Vergleich zu gewährleisten, werden die Daten für die vergangenen Jahre entsprechend angepasst.
Am 20. August 2009 veröffentlichte die Europäische Kommission unter dem Titel Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel[10] eine Mitteilung an das Europäische Parlament. Darin wird die Entwicklung von neuen Messgrößen empfohlen.
Hier wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von der Produktionsseite dargestellt. Die zentrale Größe bildet dabei die Bruttowertschöpfung. Sie ermittelt sich aus der Summe sämtlicher Produktionen abzüglich Vorleistungen. Die Tabelle zeigt die Bruttowertschöpfung nach Sektoren für Deutschland im Jahr 2007.[11]
Produktionswert | 4.454,57 Mrd. € |
− Vorleistungen | − 2.282,39 Mrd. € |
| |
= Bruttowertschöpfung | 2.172,18 Mrd. € |
+ Gütersteuern abzügl. Gütersubventionen | 251,62 Mrd. € |
| |
= Bruttoinlandsprodukt | 2.423,80 Mrd. € |
Bei der Verwendungsrechnung erfolgt die Berechnung anhand der Nachfrageseite. Dabei wird die Verwendung für Waren und Dienstleistungen bestimmt. Die folgende Tabelle zeigt links die Komponenten der Verwendungsrechnung, die Werte auf der rechten Seite entsprechen deren Größe im nationalen BIP Deutschlands 2007.[11]
Private Konsumausgaben | 1.374,40 Mrd. € | ||
+ Konsumausgaben des Staates | 436,10 Mrd. € | ||
+ Bruttoinvestitionen | 442,50 Mrd. € | ||
+ Exporte | 1.133,00 Mrd. € | ||
− Importe | − 962,20 Mrd. € | ||
+ | = Außenbeitrag | 170,80 Mrd. € | 170,80 Mrd. € |
| |||
= Bruttoinlandsprodukt | 2.423,80 Mrd. € |
Hier wird das BIP anhand des entstandenen Einkommens gemessen. Die Aufteilung erfolgt anhand des Volkseinkommens. Diese Tabelle zeigt auf der linken Seite die Komponenten der Verteilungsrechnung und rechts die dazugehörigen Daten aus dem Jahr 2007.[11]
Arbeitnehmerentgelt | 1.181,0 Mrd. € |
+ Unternehmens- und Vermögenseinkommen | 643,2 Mrd. € |
| |
= Volkseinkommen | 1.824,2 Mrd. € |
+ Produktions- und Importabgaben an den Staat abzüglich Subventionen | 277,0 Mrd. € |
+ Abschreibungen | 345,2 Mrd. € |
| |
= Bruttonationaleinkommen | 2.446,4 Mrd. € |
− Saldo der Primäreinkommen aus der übrigen Welt | − 22,6 Mrd. € |
| |
= Bruttoinlandsprodukt | 2.423,80 Mrd. € |
Das Statistische Bundesamt weist darauf hin, dass in Deutschland keine eigenständige Berechnung des BIP über die Verteilungsseite vorgenommen wird, weil keine ausreichenden Angaben über die Unternehmensgewinne vorliegen.
Das Bruttoweltprodukt (BWP), auch Welt-Bruttoinlandsprodukt[12] genannt, lag im Jahr 2007 bei 54.274 Mrd. US$. Die Industriestaaten haben davon einen Anteil von 70,8 %, das sind 38.400 Mrd. US$. Die Entwicklungsländer erwirtschaften 25,9 %, das sind 14.100 Mrd. US$. 3 % entfallen auf Südost-Europa und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion.
Die Staaten mit den höchsten BIP – Vereinigte Staaten, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich – haben allein einen Anteil von 50,7 %. Dies entspricht 27,5 Billionen US$. Allein die Staaten in den „Top Ten“ der höchsten BIP haben einen Anteil von 67,1 % des Welt-BIP (36,4 Billionen US$).
Während im Jahr 2007 auf Europa beziehungsweise die Vereinigten Staaten und Kanada 30,9 % bzw. 28,1 % des Welt-BIP entfielen, hatte ganz Afrika mit 1,25 Billionen US$ lediglich einen Anteil von 2,3 %. Ebenfalls gering sind die Anteile von Südamerika beziehungsweise Mittelamerika und der Karibik mit 4,4 % bzw. 2,1 %. In Asien fielen 9,8 % des Welt-BIP auf Japan und Südkorea während die anderen Staaten Asiens zusammen auf 13 % kamen. In den anderen Staaten Asiens, deren Anteil an der Weltbevölkerung im Jahr 2004 bei über 53,6 % lag, lebten allerdings zwanzigmal so viele Menschen wie in Japan und Südkorea.
Region | BIP in US$ | % v. BWP |
---|---|---|
Nordamerika | 15.242 Mrd. | 28,0 % |
Mittelamerika und Karibik | 1.156 Mrd. | 2,1 % |
Südamerika | 2.378 Mrd. | 4,4 % |
Europa | 17.589 Mrd. | 32,4 % |
Naher Osten | 1.407 Mrd. | 2,6 % |
Afrika | 1.253 Mrd. | 2,3 % |
Süd-Osteuropa und Gemeinschaft Unabhängiger Staaten |
1.782 Mrd. | 3,3 % |
Asien | 12.392 Mrd. | 22,8 % |
Ozeanien | 1.074 Mrd. | 2,0 % |
Bruttoweltprodukt (BIP) | 54.273 Mrd. | 100,0 % |
Das Wirtschaftswachstum, gemessen als Veränderungsrate des Bruttoinlandsproduktes, wird gemeinhin von Politikern als Erfolgskriterium benutzt.[14] Alle Sozialproduktvergleiche sind aber letzten Endes nichts anderes als Vergleiche zweier unter Befolgung bestimmter Regeln in Geld veranschlagter Güterkombinationen, also zweier Geldsummen, durch die man vielleicht manchen Aufschluss erhalten kann, wenn man ihre Berechnungsmethode kennt, niemals aber Einblick in „Nutzen“ oder „Befriedigung“.[15]
Das BIP gibt Aufschluss über die Entwicklung der Produktion. Wichtig ist außerdem die Frage nach den Konsummöglichkeiten einer Volkswirtschaft. Dazu sind Informationen über das verfügbare Einkommen erforderlich. Das Problem eines geeigneten Maßes für den Lebensstandard löst das Nettonationaleinkommen am treffendsten.
Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bzw. BIP pro Einwohner ermöglicht einen Vergleich verschiedener, unterschiedlich großer Wirtschaftsräume miteinander und wird als Maß für den materiellen Wohlstand in einem Land oder einer Region angesehen. Es wird wie folgt berechnet:
Staat | Rang | BIP pro Kopf in Int.-$ (PPP) |
---|---|---|
ökonomisch entwickelte Staaten | 41.520 | |
sich ökonomisch entwickelnde Staaten | 7.284 | |
Europäische Union | 31.947 | |
Katar | 1. | 103.401 |
Luxemburg | 2. | 77.935 |
Singapur | 3. | 62.428 |
Vereinigte Staaten | 6. | 52.839 |
Schweiz | 8. | 45.999 |
Österreich | 11. | 42.553 |
Deutschland | 18. | 39.468 |
Vereinigtes Königreich | 21. | 37.299 |
Japan | 22. | 37.135 |
Frankreich | 24. | 35.680 |
Volksrepublik China | 92. | 9.828 |
Demokratische Republik Kongo | 186. | 382 |
Im Jahr 2007 lagen 16 der 20 Staaten mit dem weltweit niedrigsten BIP pro Kopf in Afrika. Afrika ist auch der Kontinent mit dem niedrigsten BIP pro Kopf – es betrug im Jahr 2007 lediglich 1.400 US$ pro Jahr. (Von einem niedrigen BIP pro Kopf kann jedoch noch nicht auf die Lebenszufriedenheit geschlossen werden, wie sie in anderen Indizes wie dem HPI zum Ausdruck kommt.)
Das BIP allein und für sich erlaubt keine Aussagen über Wohlstand, Lebensqualität oder Gerechtigkeit für und zwischen den Menschen einer Volkswirtschaft. Auch der langfristige Zustand der sozialstaatlichen Sicherungssysteme (Gesetzliche Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung) und weitere Faktoren wie z. B. sozialer Frieden, Luftqualität, Erholungsgebiete und der Zustand der natürlichen Ressourcen werden vom BIP nicht erfasst.[17][18] Daher können alternativ oder zusätzlich zur Einbeziehung dieser Ziele in der Wirtschaftspolitik folgende volkswirtschaftliche Indizes verwendet werden:
Die Aussagekraft des BIP bezüglich der Wirtschaftsleistung der Menschen in einer Volkswirtschaft ist begrenzt, da folgende Faktoren nicht oder nur teilweise mitberechnet werden:
Es ist zusammenfassend zu sagen, dass das BIP nur die (gehandelte) Produktionsleistung, nicht den Wohlstand einer Volkswirtschaft widerspiegelt. Auch ein Länder- und Zeitvergleich kann sich nur bedingt auf ihn stützen.
Die vom früheren französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy einberufene Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress (Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission), der fünf Nobelpreisträger angehörten, sollte eine alternative Berechnung erstellen. Dabei forderte die Kommission die Statistiker auf, nicht nur auf das Wirtschaftswachstum zu schauen, sondern das gegenwärtige „Wohlergehen“ eines Landes zu ermitteln. Dabei spiele das BIP weiterhin eine Rolle. Allerdings müssten zum Beispiel auch das gemittelte Haushaltseinkommen, Familienarbeit, Freizeit, Gesundheit und der Zustand der Umwelt mit einbezogen werden.[20]