Andrei Andrejewitsch Wlassow (russisch Андрей Андреевич Власов; wiss. Transliteration Andrej Andreevič Vlasov; * 1. September jul./ 14. September 1901 greg. [1] in Lomakino, Gouvernement Nischni Nowgorod; † 1. August 1946[2] in Moskau) war ein sowjetischer Generalleutnant. In deutscher Gefangenschaft wechselte er die Seiten und baute die Russische Befreiungsarmee – Russkaja Oswoboditelnaja Armija, ROA, auch Wlassow-Armee genannt – auf, die auf der Seite des Deutschen Reiches gegen die Sowjetunion kämpfte.
Nach einer Ausbildung an einem russisch-orthodoxen Seminar, die er nach der Oktoberrevolution aufgab, und einem kurzen Studium der Landwirtschaft trat Wlassow 1919 in die Rote Armee ein. Nach der Beendigung eines viermonatigen Kommandeurskurses wurde er als Zugführer bei den bewaffneten Kräften im Süden Russlands bei der Südfront eingesetzt. Er diente in der 2. Dondivision. Nach der Liquidierung der weißen Truppen im Nordkaukasus kämpfte Wlassow in Nordtaurien gegen die Truppen Wrangels. Wlassow war Kompaniechef und diente danach im Stab. Ende 1920 war Wlassow zur berittenen und Fußaufklärung kommandiert und nahm an der Liquidierung der Machnowschtschina teil.
Seit 1922 bekleidete Wlassow Kommandeurs- und Stabsfunktionen, beschäftigte sich aber auch mit seiner Fortbildung. 1929 beendete er die Wystrel-Kurse (Militärakademie für Infanterie). 1930 trat Wlassow in die Kommunistische Partei ein. 1935 war Wlassow Hörer an der Frunse-Militärakademie. Der Historiker A.N. Kolsnik fand heraus, dass Wlassow in den Jahren der „Großen Säuberung“ 1937–1938 Mitglied des Militärgerichtshofes im Leningrader und Kiewer Militärbezirk war. Seit August 1937 war Wlassow Kommandeur des 133. Schützenregiments der 72. Schützendivision und seit April 1938 stellvertretender Kommandeur dieser Division. Im Herbst 1938 wurde er als Militärberater nach China geschickt, wobei er das volle Vertrauen der politischen Führung genoss. Von Mai bis November 1939 diente er beim Obersten Militärrat. Dafür erhielt er den Orden des Goldenen Drachen.
Im Januar 1940 wurde Generalmajor Wlassow Kommandeur der 99. Schützendivision, welche als beste Division des Kiewer Militärbezirks im Oktober 1940 mit dem Rotbannerorden geehrt wurde.
Wlassow kämpfte im Zweiten Weltkrieg zunächst auf sowjetischer Seite gegen die Deutschen. Er führte im Juli 1941 mit dem IV. Mechanisierten Korps bei Berdytschiw einen Gegenangriff, befehligte im September 1941 vor Kiew die 37. Armee und eroberte in der Schlacht um Moskau im Januar 1942 die Stadt Solnetschnogorsk zurück. Dafür wurde er von dem sowjetischen Dichter Ilja Ehrenburg literarisch verewigt. Im April 1942 löste er General N.K. Klykow als Oberbefehlshaber der 2. Stoßarmee ab und kämpfte unter Merezkow an der Wolchow-Front um die Befreiung Leningrads (Wolchow-Schlacht). Der 2. Stoßarmee gelang es, weiter als die anderen Armeen vorzustoßen, sie konnte allerdings in den erreichten Stellungsräumen nicht versorgt werden; ein Rückzug wurde untersagt. Nachdem die Soldaten ihre Pferde, später Baumrinde und Gegenstände aus Leder verzehrt hatten und viele verhungert waren, wurde der Rest von den Deutschen aufgerieben. Wlassow konnte sich noch fast zwei Wochen lang verbergen, wurde aber am 12. Juli 1942 gefangengenommen.
In deutscher Gefangenschaft initiierte er unter den Häftlingen ein gegen Stalin gerichtetes Komitee. Der Reichsführer SS und Oberbefehlshaber des Ersatzheeres Heinrich Himmler überzeugte den zunächst zögerlichen Adolf Hitler davon, eine Russische Befreiungsarmee mit zehn Grenadier-Divisionen, einem Panzer-Verband und eigenen Luftstreitkräften zu gründen. Die Rekrutierung begann im Herbst 1944. Wlassow verbündete sich mit Hitlers Wehrmacht und baute mit ihrer Hilfe die Russische Befreiungsarmee auf. Am 10. Februar 1945 übernahm er in Münsingen auf der Schwäbischen Alb den Oberbefehl über die neue Armee.
Am 11. April 1945, unmittelbar vor der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald, beschoss die bei Buchenwald stationierte Wlassow-Armee noch das Lager. Kurz darauf, in den ersten Maitagen 1945, brach Wlassow das Bündnis mit Deutschland, indem er es zuließ, dass sich seine 1. Division unter General Sergei Kusmitsch Bunjatschenko vorübergehend den Aufständischen in Prag anschloss. Er selbst stand diesem Unternehmen offenbar distanziert gegenüber. Nach der endgültigen Befreiung Prags von der deutschen Besatzung durch die Rote Armee ergab sich Wlassow den amerikanischen Truppen. Den herangerückten sowjetischen Truppen gelang es, Wlassow am 12. Mai 1945 während einer Autofahrt festzunehmen. Ob die Amerikaner der Festnahme Vorschub geleistet haben, um ihn auf diese Weise an die Sowjetunion auszuliefern, ist umstritten.
Sein Prozess, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt wurde, begann am 30. Juli 1946 und endete schon zwei Tage später mit dem Todesurteil. Am 1. August 1946 wurde Wlassow im Moskauer Taganka-Gefängnis gehängt.
Seine politischen Ziele veröffentlichte Wlassow im propagandistisch motivierten sogenannten Prager Manifest vom 14. November 1944. Er wollte einen Sturz des Bolschewismus, aber keine Rückkehr zum Zarentum. Er proklamierte den Schutz des Einzelnen vor der Willkür und die Möglichkeit der Aneignung der Früchte eigener Arbeit, ferner die bürgerlichen Freiheits-Grundrechte und den Schutz des durch eigene Arbeit erworbenen Privateigentums.
Die Sowjetunion betrachtete Wlassow als Verräter, doch wird seine historische Rolle im heutigen Russland von einigen wenigen Historikern auch positiver gesehen. In ihren Augen war er der Exponent einer in der UdSSR weit verbreiteten, wegen des blutigen Staatsterrors jedoch nicht organisierten Opposition zu Stalin, die keine andere Möglichkeit sah, als mit dessen Feinden zu kollaborieren. Unerklärt bleibt seine Kollaboration mit den Nazis vor dem Hintergrund ihrer Lebensraum-Pläne, die im Generalplan Ost konkretisiert wurden.